Haus Opherdicke
Haus Opherdicke lag vorzeiten an einer der bedeutendsten Fernverkehrsstraßen
Westfalens, der uralten „via regia - der Königsstraße", auch „Kleiner
Hellweg, Kölnische Straße oder Haarweg" genannt. Sie führte von
Köln ausgehend durch das bergische Land und erschloss das Ruhr- und
Möhnetal, bevor sie sich kurz vor Paderborn mit dem „Großen Hellweg"
Duisburg-Paderborn vereinigte. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind auf ihr
schon die Legionen Roms und die Heere Karls des Großen gen Osten gezogen.
Von Westhofen aufsteigend, an Schwerte vorbei, führte die Straße auf
die Höhe des Haarstranges. Durch Hengsen und Opherdicke laufend führte
sie in nahezu gerader Linie als Höhenweg in Richtung Frömern.
Östlich des Hauses Opherdicke kreuzte der Hellweg die wichtige
Regionalstraße Iserlohn-Unna. Zwischen dem Opherdicker Ostendorf und der
Straße von Altendorf nach Billmerich ist der Hellweg noch als Feldweg
erhalten, der heute von zahlreichen Spaziergängern stark frequentiert
wird. Sein weiterer Verlauf in Richtung Frömern deckt sich mit der
heutigen Straßenführung.
Ab dem Hochmittelalter war der kleine Hellweg, in seinem Abschnitt zwischen
Opherdicke und Hagen, ein Teilstück des berühmten „Jacobsweges",
der Pilgerstraße nach Santiago de Compostela in Spanien, zum angeblichen
Grabe des Apostels Jacobus, einer der bedeutendsten Wallfahrtsstätten
des Mittelalters. Die aus Richtung Unna über die Regionalstraße kommenden
Pilger folgten dem Hellweg bis Hagen. Von dort ging es hinauf ins Bergland
nach Breckerfeld, dem Sammelplatz der westfälischen Pilger.
Aus den Akten wissen wir von der Existenz einer Kapelle in Hengsen, deren
Lehnrechte im 15. Jhdt. die Lappe zu Ruhr besaßen. Doch niemand weiß, wo
sie einst gestanden hat. Ich vermute ihren Standort auf der Höhe am
Hellweg, nahe dem „Dorfe Hengsen", und denke, dass sie dem Hl. Jacobus
geweiht war. Vermutlich diente sie den Pilgern, wie die Jacobuskapelle vor
den Toren von Unna, als Anlaufstation. Jedenfalls könnte die aus dem
15. Jhdt. stammende Jacobusstatue in der heutigen ev. Kirche, der ehemaligen
kath. Pfarrkirche St. Stephanus, aus dieser Kapelle stammen. Über eine
Jacobusverehrung in der Kirche liegen jedenfalls keine Hinweise vor.
Die älteste Geschichte des Hauses Opherdicke liegt im Dunkeln. Falls
dem „Chronostichon" von 1683 zu trauen ist, von dem später noch die
Rede sein wird, so wurde die Burg „um 1180" erbaut.
Vor 1170 waren die Bauernschaft Herreke/Opherdicke und die Burg Rura, nebst
allen zugehörigen Gütern, allodialer, freieigener Besitz des Edelherrn
Rabodo von Rüdenberg-Ardey und Teil seiner Großgrundherrschaft. Diese
erstreckte sich im wesentlichen, bestehend aus Alloden und Lehen, in mehr
oder weniger zusammen hängenden Teilen, über den Höhenzug
von Haarstrang und Ardeygebirge, von Wickede-Scheda bis Witten a. d. Ruhr.
Mit Rabodo von Rüdenberg, der auch nach seinem Wohnsitz, dem Rittergut
Hegeninchusen/Hengsen, einem Afterlehen der Grafen von Arnsberg, „Rabodo de
Hegeninchusen" genannt wurde, ist das Geschlecht 1170 im Mannesstamm erloschen.
Zuvor hatte er jedoch, mit Konsens von Kaiser Friedrich Barbarossa, seiner
Frau Richeza alle seine allodialen Güter vermacht, ohne die bestehenden
Erbansprüche seiner drei Schwestern Alheid, Wiltrud und Luitgard zu
berücksichtigen.
Daher kam es nach seinem Tod sofort zum Erbschaftsstreit zwischen Richeza
und ihren Schwägerinnen, der aber noch im gleichen Jahr durch den Kölner
Erzbischof Philipp von Heinsberg
geschlichtet wurde. In dem Vertrag wurde der
Richeza der lebenslängliche Nießbrauch der Güter zugestanden. Nach
ihrem Tode sollten die Besitzungen jedoch wieder an Rabodos „nächste
Erben", sprich seine drei Schwestern (und ihre Ehemänner) zurückfallen.
Die Wappen der Erben der Edelherren von Rüdenberg als Grund- und
Landesherren v.
Opherdicke, v.links n. rechts Edelherren v. Ardey,
Grafen v. d. Mark, Grafen v. Dortmund (v.
Lindenhorst), Edelherren v. Grafschaft
Richeza, die in zweiter Ehe mit dem Grafen Rainer von Freusberg verheiratet
war, starb schon 1174; somit trat der Erbfall ein. Nach dem heutigen Stand
der Forschung gelangten die östlichen Teile der Herrschaft, zu gleichen
Teilen, über Wiltrud und Luitgard von Rüdenberg an deren Ehemänner,
die Brüder und Edelherren Everhard und Jonathas von Wiclon/Wicheln, die
sich fortan danach als „Edelherrn von Ardey" bezeichneten. Während Everhard
das eigentliche Haus der Edelherren begründete, hinterließ sein Bruder
Jonathas vermutlich nur eine Tochter mit Namen Luitgard. Diese muss mit „Lucardis",
der ersten Gattin des Grafen Adolf I. v. d. Mark (1199 - 1249) identisch sein,
denn nur so lassen sich die Blutsverwandtschaft zwischen den Ardeyern und den
Märkern, sowie deren spätere Erbansprüche erklären.
Die allodialen Besitzungen, mit der Burg Rura und der neu gegründeten Burg
Herreke/Opherdicke, gelangten 1174 an Alheid von Rüdenberg und ihren
Gatten Heinrich (von Lindenhorst), aus dem Geschlecht der späteren Grafen
von Dortmund, der sich nach seinen Burgsitzen ab 1174 „Heinrich van ther Rura"
und ab 1175 auch „Heinrich de Herreke" nannte.
Da die Ehe Heinrichs und Alheids gleichfalls kinderlos geblieben war, so
übertrugen die Eheleute schon 1176 ihre Besitzungen dem Erzbischof
Philipp von Heinsberg und empfingen sie als Lehen zurück, mit dem Recht,
ihren Lehnsnachfolger selbst bestimmen zu können. Hierzu erwählten
sie Heinrichs Neffen, den Edelherrn Rembold von Grafschaft. Bei ihm und seinen
Nachkommen ist die Lehnshoheit bis 1572 verblieben. Heinrich und Alheid starben
um 1190, denn 1192 finden wir Rembold von Grafschaft im Besitz des Lehens.
Die Grafschafter teilten nun den Besitz und vergaben Burg und Bauernschaft
Opherdicke, als Afterlehen, an ein Ministerialengeschlecht, dass sich gleichfalls
nach der Burg „de Herreke, Herike, Heirke, Opheyricke etc." nannte.
Die Burg Rura, einschließlich aller Ländereien und zugehörigen Höfe,
kam an ein Geschlecht, dass sich danach „de Rura - von/zu Ruhr" schrieb.
Bedeutendster Vertreter des Geschlechtes „de Herreke II" war der Ritter „Goswin
von Herike" (+1359). Er war von 1345 bis 1349 Ordensmeister von Livland. Als
militärischer Oberbefehlshaber des Deutschen Ritterordens war er im
Baltikum äußerst erfolgreich. Goswin von Herike war der Bruder des 1347
urkundlichen „Herbordus de Opherreke".
Mit dem 1430 urkundlichen „Arnde van Heirke" ist das Geschlecht zu Opherdicke
im Mannesstamm erloschen. Die Lehnsnachfolge trat vermutlich um 1440 der Ritter
Albert von Fresendorf an, dessen Nachkommen für rund 280 Jahre auf Haus
Opherdicke saßen. Als Herren von Opherdicke übten die Fresendorfs auch
die Gerichtsbarkeit in dem vermutlich erst im 15. Jhdt. gebildeten
Jurisdictionsgericht Opherdicke aus, das die gesamte Bauernschaft umfasste
und nun auch von den Edelherren von Grafschaft zu Lehen ging, und sich auch
auf die Ausübung der Hochgerichtsbarkeit erstreckte.
Ursprünglich lag die Jurisdiction über die Bauernschaften Opherdicke
und Hengsen, vielleicht auch über Holzwickede, bei den Grafen von Arnsberg.
Erst durch eine Teilung der Rechte wurden die zwei, bzw. drei selbständigen
Gerichte geschaffen. Näheres dazu in den Berichten über die Häuser
Hegeninchusen, Vierbecke und Ruhr/Lappenhausen.
Die Herren von Fresendorf waren auch Patronatsherren der Opherdicker Pfarrkirche,
deren Kirchspiel die drei Bauernschaften und Gerichte Opherdicke, Hengsen und
Holzwickede umfasste. Dieses Patronatsrecht, das auch das Vorschlagsrecht zur
Besetzung der Pfarrstelle beinhaltete, hatten sich schon vor 1500 die „Lappe
zu Ruhr" verschafft, die Lehnsnachfolger der „de Rura" und Gerichtsherren von
Hengsen. Jedenfalls erhoben auch die Fresendorfs auf das Patronat Ansprüche,
die dazu führten, dass nach 1540 die Patronatsrechte zwischen den Lappes und
den Fresendorfs geteilt wurden.
Um die Besetzung der Pfarrstelle kam es 1565 zum Streit zwischen den Lappes
und Fresendorfs, der zum Auslöser der Reformation im Kirchspiel Opherdicke
wurde. Als am 3. Mai 1566 der Lappe'sche Kandidat Johann Fischer, mit
Unterstützung seines Patrons Bernd Lappe zu Ruhr, das Pfarrhaus mit
Gewalt einnahm, und sich durch einen Soester Notar förmlich in die
Kirche als Pfarrer einsetzen ließ, wurde er von Köln exkommuniziert,
als „Spoliator" (Plünderer einer Pfarrstelle) verurteilt, und ihm alle
Ansprüche darauf aberkannt. Daraufhin traten 1569/70 Fischer und Lappe
zum Ev. Luth. Bekenntnis über, zu dem auch später der neue Herr
von Opherdicke, Johann von Fresendorf (+1582), konvertierte. Jedenfalls konnte
sich Johann Fischer so bis zu seinem Tode (1592) im Besitz der Pfarrstelle
halten. Der endgültige Durchbruch der Reformation kam 1576. Wesentlichen
Anteil daran hatte Bernd Lappes Sohn Caspar Lappe zu Ruhr, Droste (Amtmann)
zu Iserlohn und Altena. Eine katholische Gemeinde existierte nicht mehr.
Unter den Vertretern der von Fresendorf ist besonders Arnold Heinrich von
Fresendorf (1677 - 1696) hervorzuheben. Er konvertierte um 1666 wieder zum
Katholizismus und ließ ab 1683 die 1702 geweihte kleine kath. Eigenkirche,
auf dem zum Schloss gehörigen „Wienkampf" errichten, den Vorgängerbau
der heutigen Katholischen Pfarrkirche St. Stephanus. Er war auch der Erneuerer
des heutigen Opherdicker Schlosshauses. Wie uns Diedrich von Steinen 1755
berichtet, kündete davon einst eine Inschriftenplatte über der
Eingangstür:
„haeC arX qVIngentos Vna sVb stIrpe per annos
fLorens antIqVo stat reparate MoDo"
„Diese blühende Burg steht von ihrem Ursprung.
an 500 Jahre und wird in alter Weise erneuert"
Bei dieser Inschrift in Form eines Chronostichons, sind die Großbuchstaben
als römische Zahlen zu lesen. Addiert man diese, so erhält man
die Jahreszahl 1683, das Jahr des Baubeginns. Von der Fertigstellung des
Hauses künden die eisernen Maueranker an der Hoffront, welche die
Jahreszahl 1687 bilden.
Die südliche Gartenfront des Hauses entspricht heute nicht mehr dem
ursprünglichen Zustand. Zeitgleich mit dem Haus ist der westliche
Eckturm entstanden. Der östliche Turm wurde, nach Ausweis der Maueranker
und der an dessen Nordseite ins Mauerwerk eingelassenen Wappentafel „v.
Hane/v. Dellwig", im Jahre 1726 von dem Generalmajor Johann Diedrich von
Hane und Gattin errichtet, die 1719 das Rittergut Opherdicke von dem Letzten
seines Geschlechtes, dem Domherren Gerhard Moritz von Fresendorf gekauft hatten.
Der dem Kellergeschoss des Hauses zwischen den Türmen vorgebaute
Verbindungstrakt mit Mittelrisalitartigem Versprung, der im ersten Stock
zu einer Loggia ausgebaut ist, wurde erst in den Dreißiger Jahren des 19.
Jhdts. errichtet. Die Flachdächer von Loggia und der sie flankierenden,
rückspringenden Teile des Verbindungstraktes sind als Balkone gestaltet.
Die Anordnung der Fenster wurde gleichfalls verändert.
Das zweitälteste Gebäude der heutigen Schlossanlage ist das Bauhaus,
das Wirtschaftsgebäude, am Durchgangsweg vom Schlosshof längs der
Gräfte, zur kath. Kirche. Nach Ausweis der Maueranker und des in die
Hofgiebelfront eingelassenen Allianzwappensteins v. Hane/v. Hövel, wurde
es 1738 von Franz Kaspar von Hane errichtet. Der kleine turmartige Gartenpavillon,
an der Gartenmauer zur Straße, dürfte etwa der gleichen Zeitstellung
angehören.
Den von Hane folgte 1793 das in den Adel aufgestiegene Werler
Erbsälzergeschlecht von Lilien im Erbgang. Unter Franz Josef Michael
Freiherr von Lilien erhielt das Herrenhaus seine jetzige Gestalt. Eine
gusseiserne Platte über der Eingangstüre zeigt sein Wappen und
das seiner Gattin Auguste von Vittinghoff gen. Schell. Unter Verwendung
von alter Bausubstanz wurde auch der Wirtschaftshof zur herrschaftlichen
Anlage ausgebaut. Durch die östliche Verlängerung der Straßenfront,
vermittels einer außerhalb der Hoffläche stehenden Scheune, rückte
das Eingangstor aus seiner Ecklage näher zur Mitte und bildete nun durch
die das Tor flankierenden Türme, mit dem Schlosshaus eine optische große
Achse.
Zeitgleich mit der Umgestaltung des Schlosses wurde auch der Schlosspark,
in Gestalt eines Englischen Landschaftsgartens, angelegt, als dessen Schöpfer
ich den Düsseldorfer Hofgartendirektor Maximilian Weyhe vermute, der auch den
Schlosspark des Hauses Villigst 1836 konzipierte.
Gegen Ende des 19. Jhdts. war die alte Fresendorfsche Kirche arg in Verfall
geraten. Aber erst 1893, nach gerichtlicher Klärung der komplizierten
Rechtsverhältnisse zwischen dem Gutsherrn und Patron Franz Kaspar Michael
Freiherr von Lilien (1840 - 1906) und der kath. Gemeinde, konnte man zum Neubau
der heutigen Kirche schreiten, den der Patron größtenteils vorfinanzierte.
Stolz prangt daher heute noch das Wappen der von Lilien im Mauerwerk der Kirche.
Mit dem Tod von Franz Kaspar Michael Freiherr von Lilien, am 20. Juli 1906,
ist sein Geschlecht erloschen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem
kath. Friedhof, im Erbbegräbnis der von Lilien. Zu seiner Universalerbin
hatte er testamentarisch seine Nichte Enna Gräfin Berghe von Trips,
geborene von Fürstenberg, eingesetzt. Das Rittergut wurde fortan von
einem Verwalter des Grafen Berghe von Trips zu Hemmersbach bewirtschaftet
und bald parzelliert. Übrigens, der Letzte dieses Hauses war der bekannte
Formel 1 Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips, der 1961 in Monza, kurz
vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft, tödlich verunglückte und
zahlreiche Menschen mit in den Tod riss.
Im Jahre 1918 wurde das Restgut an den Aussiedler-Gutsbesitzer Theodor
Regenbogen aus Dortmund-Huckarde verkauft. Bis 1980 hat die Familie
Regenbogen das Gut Opherdicke noch landwirtschaftlich genutzt. Am 1. Juli 1980
erwarb der Kreis Unna das Haus Opherdicke, um das Baudenkmal, nach
kostenintensiven Erneuerungsarbeiten, die bis heute noch nicht abgeschlossen
sind, als kreiseigenes Kulturzentrum zu nutzen. Schon heute präsentiert
sich Haus Opherdicke den Besuchern als ein Juwel des Haarstranges und
Deutschlands einzige Wasserburg auf Bergeshöhe.
Reinhold Stirnberg