Haus Opherdicke

Haus Opherdicke lag vorzeiten an einer der bedeutendsten Fernverkehrsstraßen Westfalens, der uralten „via regia - der Königsstraße", auch „Kleiner Hellweg, Kölnische Straße oder Haarweg" genannt. Sie führte von Köln ausgehend durch das bergische Land und erschloss das Ruhr- und Möhnetal, bevor sie sich kurz vor Paderborn mit dem „Großen Hellweg" Duisburg-Paderborn vereinigte. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind auf ihr schon die Legionen Roms und die Heere Karls des Großen gen Osten gezogen. Von Westhofen aufsteigend, an Schwerte vorbei, führte die Straße auf die Höhe des Haarstranges. Durch Hengsen und Opherdicke laufend führte sie in nahezu gerader Linie als Höhenweg in Richtung Frömern. Östlich des Hauses Opherdicke kreuzte der Hellweg die wichtige Regionalstraße Iserlohn-Unna. Zwischen dem Opherdicker Ostendorf und der Straße von Altendorf nach Billmerich ist der Hellweg noch als Feldweg erhalten, der heute von zahlreichen Spaziergängern stark frequentiert wird. Sein weiterer Verlauf in Richtung Frömern deckt sich mit der heutigen Straßenführung.

Haus Opherdicke n. d. Urkastater von 1828 Ab dem Hochmittelalter war der kleine Hellweg, in seinem Abschnitt zwischen Opherdicke und Hagen, ein Teilstück des berühmten „Jacobsweges", der Pilgerstraße nach Santiago de Compostela in Spanien, zum angeblichen Grabe des Apostels Jacobus, einer der bedeutendsten Wallfahrtsstätten des Mittelalters. Die aus Richtung Unna über die Regionalstraße kommenden Pilger folgten dem Hellweg bis Hagen. Von dort ging es hinauf ins Bergland nach Breckerfeld, dem Sammelplatz der westfälischen Pilger.

Aus den Akten wissen wir von der Existenz einer Kapelle in Hengsen, deren Lehnrechte im 15. Jhdt. die Lappe zu Ruhr besaßen. Doch niemand weiß, wo sie einst gestanden hat. Ich vermute ihren Standort auf der Höhe am Hellweg, nahe dem „Dorfe Hengsen", und denke, dass sie dem Hl. Jacobus geweiht war. Vermutlich diente sie den Pilgern, wie die Jacobuskapelle vor den Toren von Unna, als Anlaufstation. Jedenfalls könnte die aus dem 15. Jhdt. stammende Jacobusstatue in der heutigen ev. Kirche, der ehemaligen kath. Pfarrkirche St. Stephanus, aus dieser Kapelle stammen. Über eine Jacobusverehrung in der Kirche liegen jedenfalls keine Hinweise vor.

Haus Opherdicke Lithographie von P. Herle, Paderborn 1836 Die älteste Geschichte des Hauses Opherdicke liegt im Dunkeln. Falls dem „Chronostichon" von 1683 zu trauen ist, von dem später noch die Rede sein wird, so wurde die Burg „um 1180" erbaut.

Vor 1170 waren die Bauernschaft Herreke/Opherdicke und die Burg Rura, nebst allen zugehörigen Gütern, allodialer, freieigener Besitz des Edelherrn Rabodo von Rüdenberg-Ardey und Teil seiner Großgrundherrschaft. Diese erstreckte sich im wesentlichen, bestehend aus Alloden und Lehen, in mehr oder weniger zusammen hängenden Teilen, über den Höhenzug von Haarstrang und Ardeygebirge, von Wickede-Scheda bis Witten a. d. Ruhr.

Mit Rabodo von Rüdenberg, der auch nach seinem Wohnsitz, dem Rittergut Hegeninchusen/Hengsen, einem Afterlehen der Grafen von Arnsberg, „Rabodo de Hegeninchusen" genannt wurde, ist das Geschlecht 1170 im Mannesstamm erloschen. Zuvor hatte er jedoch, mit Konsens von Kaiser Friedrich Barbarossa, seiner Frau Richeza alle seine allodialen Güter vermacht, ohne die bestehenden Erbansprüche seiner drei Schwestern Alheid, Wiltrud und Luitgard zu berücksichtigen.

Daher kam es nach seinem Tod sofort zum Erbschaftsstreit zwischen Richeza und ihren Schwägerinnen, der aber noch im gleichen Jahr durch den Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg
geschlichtet wurde. In dem Vertrag wurde der Richeza der lebenslängliche Nießbrauch der Güter zugestanden. Nach ihrem Tode sollten die Besitzungen jedoch wieder an Rabodos „nächste Erben", sprich seine drei Schwestern (und ihre Ehemänner) zurückfallen.

Die Wappen der Erben der Edelherren von Rüdenberg als Grund- und
Landesherren v. Opherdicke, v.links n. rechts Edelherren v. Ardey,
Grafen v. d. Mark, Grafen v. Dortmund (v.
Lindenhorst), Edelherren v. Grafschaft


Richeza, die in zweiter Ehe mit dem Grafen Rainer von Freusberg verheiratet war, starb schon 1174; somit trat der Erbfall ein. Nach dem heutigen Stand der Forschung gelangten die östlichen Teile der Herrschaft, zu gleichen Teilen, über Wiltrud und Luitgard von Rüdenberg an deren Ehemänner, die Brüder und Edelherren Everhard und Jonathas von Wiclon/Wicheln, die sich fortan danach als „Edelherrn von Ardey" bezeichneten. Während Everhard das eigentliche Haus der Edelherren begründete, hinterließ sein Bruder Jonathas vermutlich nur eine Tochter mit Namen Luitgard. Diese muss mit „Lucardis", der ersten Gattin des Grafen Adolf I. v. d. Mark (1199 - 1249) identisch sein, denn nur so lassen sich die Blutsverwandtschaft zwischen den Ardeyern und den Märkern, sowie deren spätere Erbansprüche erklären.

Haus Opherdicke von Osten Die allodialen Besitzungen, mit der Burg Rura und der neu gegründeten Burg Herreke/Opherdicke, gelangten 1174 an Alheid von Rüdenberg und ihren Gatten Heinrich (von Lindenhorst), aus dem Geschlecht der späteren Grafen von Dortmund, der sich nach seinen Burgsitzen ab 1174 „Heinrich van ther Rura" und ab 1175 auch „Heinrich de Herreke" nannte.

Da die Ehe Heinrichs und Alheids gleichfalls kinderlos geblieben war, so übertrugen die Eheleute schon 1176 ihre Besitzungen dem Erzbischof Philipp von Heinsberg und empfingen sie als Lehen zurück, mit dem Recht, ihren Lehnsnachfolger selbst bestimmen zu können. Hierzu erwählten sie Heinrichs Neffen, den Edelherrn Rembold von Grafschaft. Bei ihm und seinen Nachkommen ist die Lehnshoheit bis 1572 verblieben. Heinrich und Alheid starben um 1190, denn 1192 finden wir Rembold von Grafschaft im Besitz des Lehens.

Die Grafschafter teilten nun den Besitz und vergaben Burg und Bauernschaft Opherdicke, als Afterlehen, an ein Ministerialengeschlecht, dass sich gleichfalls nach der Burg „de Herreke, Herike, Heirke, Opheyricke etc." nannte.

Die Burg Rura, einschließlich aller Ländereien und zugehörigen Höfe, kam an ein Geschlecht, dass sich danach „de Rura - von/zu Ruhr" schrieb.

Alte kath. Eigenkirche d. Herren v. Fresendorf zu Opherdicke Bedeutendster Vertreter des Geschlechtes „de Herreke II" war der Ritter „Goswin von Herike" (+1359). Er war von 1345 bis 1349 Ordensmeister von Livland. Als militärischer Oberbefehlshaber des Deutschen Ritterordens war er im Baltikum äußerst erfolgreich. Goswin von Herike war der Bruder des 1347 urkundlichen „Herbordus de Opherreke".

Mit dem 1430 urkundlichen „Arnde van Heirke" ist das Geschlecht zu Opherdicke im Mannesstamm erloschen. Die Lehnsnachfolge trat vermutlich um 1440 der Ritter Albert von Fresendorf an, dessen Nachkommen für rund 280 Jahre auf Haus Opherdicke saßen. Als Herren von Opherdicke übten die Fresendorfs auch die Gerichtsbarkeit in dem vermutlich erst im 15. Jhdt. gebildeten Jurisdictionsgericht Opherdicke aus, das die gesamte Bauernschaft umfasste und nun auch von den Edelherren von Grafschaft zu Lehen ging, und sich auch auf die Ausübung der Hochgerichtsbarkeit erstreckte.

Ursprünglich lag die Jurisdiction über die Bauernschaften Opherdicke und Hengsen, vielleicht auch über Holzwickede, bei den Grafen von Arnsberg. Erst durch eine Teilung der Rechte wurden die zwei, bzw. drei selbständigen Gerichte geschaffen. Näheres dazu in den Berichten über die Häuser Hegeninchusen, Vierbecke und Ruhr/Lappenhausen.

li. Wappen d. Herren, re. Wappen d. Herren v. Fresendorf Die Herren von Fresendorf waren auch Patronatsherren der Opherdicker Pfarrkirche, deren Kirchspiel die drei Bauernschaften und Gerichte Opherdicke, Hengsen und Holzwickede umfasste. Dieses Patronatsrecht, das auch das Vorschlagsrecht zur Besetzung der Pfarrstelle beinhaltete, hatten sich schon vor 1500 die „Lappe zu Ruhr" verschafft, die Lehnsnachfolger der „de Rura" und Gerichtsherren von Hengsen. Jedenfalls erhoben auch die Fresendorfs auf das Patronat Ansprüche, die dazu führten, dass nach 1540 die Patronatsrechte zwischen den Lappes und den Fresendorfs geteilt wurden.

Um die Besetzung der Pfarrstelle kam es 1565 zum Streit zwischen den Lappes und Fresendorfs, der zum Auslöser der Reformation im Kirchspiel Opherdicke wurde. Als am 3. Mai 1566 der Lappe'sche Kandidat Johann Fischer, mit Unterstützung seines Patrons Bernd Lappe zu Ruhr, das Pfarrhaus mit Gewalt einnahm, und sich durch einen Soester Notar förmlich in die Kirche als Pfarrer einsetzen ließ, wurde er von Köln exkommuniziert, als „Spoliator" (Plünderer einer Pfarrstelle) verurteilt, und ihm alle Ansprüche darauf aberkannt. Daraufhin traten 1569/70 Fischer und Lappe zum Ev. Luth. Bekenntnis über, zu dem auch später der neue Herr von Opherdicke, Johann von Fresendorf (+1582), konvertierte. Jedenfalls konnte sich Johann Fischer so bis zu seinem Tode (1592) im Besitz der Pfarrstelle halten. Der endgültige Durchbruch der Reformation kam 1576. Wesentlichen Anteil daran hatte Bernd Lappes Sohn Caspar Lappe zu Ruhr, Droste (Amtmann) zu Iserlohn und Altena. Eine katholische Gemeinde existierte nicht mehr.

Jakobsstatue Unter den Vertretern der von Fresendorf ist besonders Arnold Heinrich von Fresendorf (1677 - 1696) hervorzuheben. Er konvertierte um 1666 wieder zum Katholizismus und ließ ab 1683 die 1702 geweihte kleine kath. Eigenkirche, auf dem zum Schloss gehörigen „Wienkampf" errichten, den Vorgängerbau der heutigen Katholischen Pfarrkirche St. Stephanus. Er war auch der Erneuerer des heutigen Opherdicker Schlosshauses. Wie uns Diedrich von Steinen 1755 berichtet, kündete davon einst eine Inschriftenplatte über der Eingangstür:

„haeC arX qVIngentos Vna sVb stIrpe per annos
fLorens antIqVo stat reparate MoDo"
„Diese blühende Burg steht von ihrem Ursprung.
an 500 Jahre und wird in alter Weise erneuert"

Bei dieser Inschrift in Form eines Chronostichons, sind die Großbuchstaben als römische Zahlen zu lesen. Addiert man diese, so erhält man die Jahreszahl 1683, das Jahr des Baubeginns. Von der Fertigstellung des Hauses künden die eisernen Maueranker an der Hoffront, welche die Jahreszahl 1687 bilden.

Heutige ev. Kirche zu Opherdicke (Foto 1893) Die südliche Gartenfront des Hauses entspricht heute nicht mehr dem ursprünglichen Zustand. Zeitgleich mit dem Haus ist der westliche Eckturm entstanden. Der östliche Turm wurde, nach Ausweis der Maueranker und der an dessen Nordseite ins Mauerwerk eingelassenen Wappentafel „v. Hane/v. Dellwig", im Jahre 1726 von dem Generalmajor Johann Diedrich von Hane und Gattin errichtet, die 1719 das Rittergut Opherdicke von dem Letzten seines Geschlechtes, dem Domherren Gerhard Moritz von Fresendorf gekauft hatten.

Der dem Kellergeschoss des Hauses zwischen den Türmen vorgebaute Verbindungstrakt mit Mittelrisalitartigem Versprung, der im ersten Stock zu einer Loggia ausgebaut ist, wurde erst in den Dreißiger Jahren des 19. Jhdts. errichtet. Die Flachdächer von Loggia und der sie flankierenden, rückspringenden Teile des Verbindungstraktes sind als Balkone gestaltet. Die Anordnung der Fenster wurde gleichfalls verändert.

Haus Opherdicke um 1850 Das zweitälteste Gebäude der heutigen Schlossanlage ist das Bauhaus, das Wirtschaftsgebäude, am Durchgangsweg vom Schlosshof längs der Gräfte, zur kath. Kirche. Nach Ausweis der Maueranker und des in die Hofgiebelfront eingelassenen Allianzwappensteins v. Hane/v. Hövel, wurde es 1738 von Franz Kaspar von Hane errichtet. Der kleine turmartige Gartenpavillon, an der Gartenmauer zur Straße, dürfte etwa der gleichen Zeitstellung angehören.

Den von Hane folgte 1793 das in den Adel aufgestiegene Werler Erbsälzergeschlecht von Lilien im Erbgang. Unter Franz Josef Michael Freiherr von Lilien erhielt das Herrenhaus seine jetzige Gestalt. Eine gusseiserne Platte über der Eingangstüre zeigt sein Wappen und das seiner Gattin Auguste von Vittinghoff gen. Schell. Unter Verwendung von alter Bausubstanz wurde auch der Wirtschaftshof zur herrschaftlichen Anlage ausgebaut. Durch die östliche Verlängerung der Straßenfront, vermittels einer außerhalb der Hoffläche stehenden Scheune, rückte das Eingangstor aus seiner Ecklage näher zur Mitte und bildete nun durch die das Tor flankierenden Türme, mit dem Schlosshaus eine optische große Achse.

Zeitgleich mit der Umgestaltung des Schlosses wurde auch der Schlosspark, in Gestalt eines Englischen Landschaftsgartens, angelegt, als dessen Schöpfer ich den Düsseldorfer Hofgartendirektor Maximilian Weyhe vermute, der auch den Schlosspark des Hauses Villigst 1836 konzipierte.

Gegen Ende des 19. Jhdts. war die alte Fresendorfsche Kirche arg in Verfall geraten. Aber erst 1893, nach gerichtlicher Klärung der komplizierten Rechtsverhältnisse zwischen dem Gutsherrn und Patron Franz Kaspar Michael Freiherr von Lilien (1840 - 1906) und der kath. Gemeinde, konnte man zum Neubau der heutigen Kirche schreiten, den der Patron größtenteils vorfinanzierte. Stolz prangt daher heute noch das Wappen der von Lilien im Mauerwerk der Kirche.

Mit dem Tod von Franz Kaspar Michael Freiherr von Lilien, am 20. Juli 1906, ist sein Geschlecht erloschen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem kath. Friedhof, im Erbbegräbnis der von Lilien. Zu seiner Universalerbin hatte er testamentarisch seine Nichte Enna Gräfin Berghe von Trips, geborene von Fürstenberg, eingesetzt. Das Rittergut wurde fortan von einem Verwalter des Grafen Berghe von Trips zu Hemmersbach bewirtschaftet und bald parzelliert. Übrigens, der Letzte dieses Hauses war der bekannte Formel 1 Rennfahrer Wolfgang Graf Berghe von Trips, der 1961 in Monza, kurz vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft, tödlich verunglückte und zahlreiche Menschen mit in den Tod riss.

v. links nach rechts: von Hane, v. Lilien und Berghe v. Trips Im Jahre 1918 wurde das Restgut an den Aussiedler-Gutsbesitzer Theodor Regenbogen aus Dortmund-Huckarde verkauft. Bis 1980 hat die Familie Regenbogen das Gut Opherdicke noch landwirtschaftlich genutzt. Am 1. Juli 1980 erwarb der Kreis Unna das Haus Opherdicke, um das Baudenkmal, nach kostenintensiven Erneuerungsarbeiten, die bis heute noch nicht abgeschlossen sind, als kreiseigenes Kulturzentrum zu nutzen. Schon heute präsentiert sich Haus Opherdicke den Besuchern als ein Juwel des Haarstranges und Deutschlands einzige Wasserburg auf Bergeshöhe.

Reinhold Stirnberg