Lektion im Regenwald

Schilder an den Eingängen in den Stadtforst gibt es an mehreren Stellen: Hunde sind anzuleinen! Was soll's...
Der Erholung suchende Spaziergänger verharrt an einem Waldrandpunkt und betrachtet versonnen das schöne Talpanorama zu seinen Füßen. Der sich darüber wölbende Himmel erscheint ihm als nicht ganz echt. Die Sonne kriselt, verschlägt. Die Luft ist stickig und steht. Gewitter nicht ausgeschlossen. Plötzlich läßt ein hechelndes Geräusch hinter seinem Rücken den Mann herumfahren. Da! Kaum zehn Schritte entfernt jagt ein schwarzgrauer Schäferhund durch das Unterholz. Er hechelt und bricht und folgt, die Nase tief am Boden, offenbar einer Fährte. Ganz Wolf ist er, ganz Raubtier. Und mutterseelenallein. Das ... gibt's doch nicht.

Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Zu wem gehört wohl der Hund? Denkt beunruhigt der Waldgänger. Er muß jemandem gehören; es kann kaum anders sein. Sicherlich war man wieder einmal zu leichtfertig mit dem: Leine los! Den Hund kennzeichnete eine schwarze Decke, und an der Unterseite und an den Läufen war der Hund grau. Denkt man an die zutraulichen Rehe, kann einem schon bange werden; so philosophiert der Einsame. Aufmerksamer nun setzt er seinen Waldgang fort. Lange Zeit ... nichts. Keinerlei Aufschluss über einen Wilderer. Fast ist der Mann ums Geviert der Fichten herumgegangen, da hört er von links Stimmen. Zunächst sieht er noch nichts. Dann aber tritt wer aus einer Gebüschanpflanzung heraus. Aha! Es ist die Trimmdich-Stelle. Ein junges Paar im Trainingsblau erscheint auf der Lichtung, und was entdeckt man noch: Schäferhund schwarzgrau und ... leinenlos. Ja, das ist er! Kein Zweifel; das ist der Wilderer! Hin!

Die Leute verneinen prompt. Ihr Hund wildere nicht. Ach, denkt der Freund der Rehe, wie gehabt. Aber er ist los! Ich habe ihn wildern sehen, eben! Nichts da, Herrschaften! Es ist wider die Gesetze hier! Und Sie ... wissen es auch!

Der Mann zwingt die Biedersleut zum Anleinen des Tieres. Ganz energisch verlangt er es; ist selber Hundemensch, kennt sich aus. Grollend gehen sie auseinander, alle. Und auch der Himmel grollt.

Es hat sich mächtig verfinstert. Erste Blitze zucken. Donnergetöse überfällt den Wald und eine Sturmbö reißt in den Baumwipfeln. Flüchtend vor dem plötzlich niederprasselnden Gewitterregen erreicht unser Spaziergänger die nächste Schutzhütte. Oha! Drei Hunde sind schon da nebst ihren Herrchen. Schnell entspinnt sich ein „Fachgespräch" unter den gleichermaßen Geretteten. Hunde vermitteln Kontakte; schön ist dies. Und jeder Bleckie-Besitzer weiß ein artig Lied von seinem vierbeinigen Kameraden zu berichten.

Da! Was ist denn das? Mitten im strömenden Regen - noch zwei hastende Gestalten, eilen auf die Hütte zu. Und ein Hund dabei. Schäferhund, schwarzgrau, geleint. Die schwergenässte Gruppe rennt wie um ihr Leben. Die Vierbeiner im Unterstand sind im Nu hoch, verbellen einig das, was da flüchtend angerannt kommt. Und dann geschiehts...:

Die vorm Nass Fliehenden halten jäh inne, keuchen ... stutzen ... und mit einem reißt der Trainingsanzugmann seine Begleiterin abrupt am Arm herum. „Halt, Gerti!" schreit er wider den Regenbraus, „da steht der ja!" Und sein zürnender Wasserblick trifft den... „Staatsanwalt" von eben, vom Trimmdicheck. Wenn Blicke töten könnten, oh...! „Komm!" befiehlt der Gerügte barsch, und alle drei Havarierten rennen, rennen kehrtmachend aufs neue hinein in Blitz und Donner und sintflutartigen Regen. O-je-o-jeh!

„Sind die blöd!" sagt einer der Trockenen, trocken.

Es ist die Lektion, Freund, sie nässt nur... -

Erich Beckmann