Westhofen 1945

Captain Reginald Lockerby als Kommandeur in Westhofen
Teil II

Ich muss das Hunger-Trauma, das zu dieser Zeit unter der deutschen Bevölkerung herrschte, betonen. Es machte Sex und Zigaretten zur Währung. Damit man sich vorstellen kann, auf welche Weise der Verstand der Menschen sich verändert hatte, hier ein Beispiel. Ich diskutierte mit dem Bürgermeister ein unsere Gebäude betreffendes Problem. Der Bürgermeister war ein gebildeter Herr. Als ich ihm aber eine Zigarette anbot, griff er gleich drei Stück! Ich täuschte vor, es nicht wahrgenommen zu haben, aber ich hatte Mühe, nicht in Gelächter zu verfallen.

Als ich eines Abends vom Dienst zurück ins Haus kam, hörte ich Stimmengeräusche und Gelächter, das von oben kam. Ich ging in die Küche und fragte Margaret, meine Köchin:„Wer ist da oben!?" Sie wurde schamrot: „Besucher, Herr Hauptmann, sie haben eine Einladung von Ihnen!" „Unsinn!" sagte ich und stürzte die Treppe hinauf. Dort fand ich zwei junge Damen, vielleicht in den Zwanzigern, in meinem Bett...nackend! „Wer erteilte Ihnen die Genehmigung hierher zu kommen?" fragte ich. „Ich war es", sagte eine von ihnen, „ich kopierte Ihre Unterschrift!" Klar, sie arbeitete im Büro. „Was wollen Sie denn?" fragte ich recht naiv. „Uns war kalt und wir sind hungrig!" „Aber warum in meinem Bett und unbekleidet!?" fragte ich. „Weil", sagte eine „wenn es kalt ist, es zu dritt im Bett am besten ist!" Ich forderte sie auf, sich anzuziehen und in die Küche zu gehen. Margaret instruierte ich, ihnen was zum Essen zu geben. Bevor sie gingen, gab ich jeder eine Flasche Steinhäger, und ich schärfte ihnen ein, dass der nicht zum Trinken sei, sondern sie sollten ihn auf dem Schwarzmarkt gegen Nahrungsmittel eintauschen.

Ich habe Brad verschiedene Male auf seinen Jagdausflügen begleitet. Der schlimmste war die Jagd auf Wildenten, denn dabei mussten wir bis zu den Oberschenkeln im Wasser stehen und ruhig abwarten, bis der Schwarm über uns hinwegflog, damit wir sie abknallen konnten. Aus ähnlichen Gründen liebte ich es nicht, Forellen mit Fliegen als Köder zu angeln. Bei einer Gelegenheit, als ich Brad auf einer Angeltour begleitete, fanden wir eine hübsch öde Stelle, an der es vor Forellen nur so wimmeln sollte. Er watete bis zu den Ellenbogen in der Mitte des Bachs, ständig die Angel auswerfend. Ich saß lesend im Jeep, der am Ufer geparkt war. Plötzlich tauchte, wie aus dem Nichts, ein Bulle auf. In einer Größe, die ich noch nie gesehen hatte (und bitte, es ist auf keinen Fall eine geschickte Aufwertung dieser Geschichte) Die Kreatur schnaubte furchterregend, wie ein Blasebalg und platzierte dann ihre Hörner unter die vordere Stoßstange des Jeeps, schüttelte den Wagen ungestüm rauf und runter und hin und her. Schließlich kam das Tier frei und kam zur Seite des Jeeps, wo es mich ganz nah durch das Seitenfenster anguckte. Dann drehte der Stier sein Hinterteil mir zu und schiss reichlich an die Scheibe! Zweifellos bedient von meinem andauernden Hupen oder nachdem er fühlte, seine Mission erfüllt zu haben, trottete er davon. Auf jeden Fall fand mein Interesse an Forellen hiernach ein Ende!

Eines Tages wurde angekündigt, dass Hitler's Lieblingssängerin, ich glaube ihr Name war Anna Sac

(Anm.d.übers. wahrscheinlich Erna Sack, Koloratursopranistin *1903 †1972) nach Dortmund kommen wollte, um ein Solokonzert nur für Deutsche zu geben. Ilse, Inge und ich diskutierten eine Zeitlang darüber. Ilse, die eine vollendete Musikerin und fähige Klavierspielerin war, bestand darauf, hinzugehen. Wir sprachen über die Möglichkeiten. Ilse hatte die Garderobe ihres Mannes aufgehoben und wollte mir daraus ausreichende Zivilkleidung leihen, damit ich als deutscher Zivilist Einlass begehren konnte. Voraussetzung war natürlich, dass ich mich nicht durch meine englische Sprache verriet! Ich sah keine Nachteile in dieser Chance und entschied, mit Ilse hinzufahren, im OPEL und in Zivil. Wir fuhren nach Dortmund als deutsches Paar, um uns den Vortrag der deutschen Nachtigall anzuhören. Es war phantastisch! Ich hatte weder vorher noch habe ich nachher eine Sopranistin mit einer so hervorragenden Stimme gehört! Alles verlief gut, bis wir auf dem Nachhauseweg kurz vor Westhofen waren. Unglücklicherweise und ausgerechnet in der Nacht hatte eine Infanterie-Einheit Streifen aufgestellt. Sie sollten jeden, der das Ausgehverbot missachtete, kontrollieren. (Das waren Bestimmungen, die es der Zivilbevölkerung verboten, noch nach einer bestimmten Zeit draußen herumzulaufen). Wir wurden von einem Unteroffizier gestoppt, der sein Gewehr bedrohlich auf uns richtete. Er wollte Ilse's Personalausweis nicht akzeptieren und der einzige Identitätsbeweis für mich war meine Erkennungsmarke, die ich am Hals trug. Die aber hätte gestohlen oder gefunden worden sein können. Folglich bestand er darauf, dass wir langsam zur Wohnung fuhren. Er folgte in seinem Jeep, begleitet von zwei bewaffneten Soldaten. Ich fuhr zu Ilse's Haus. Er bestand darauf, zusammen mit den beiden Soldaten einzutreten. Ich fühlte mich in eine unangenehme Lage gebracht. Der Unteroffizier bestand dann darauf, mich zu meinem Haus zu begleiten, wo ich sehr schnell in der Lage war, meine wirkliche Identität zu offenbaren. Das hielt ihn aber nicht davon ab, eine Menge Fragen zu stellen. Ich gab ihm zu verstehen, dass das, was ich getan hatte, sehr privater Natur war und ich auf keinen Fall Einzelheiten zu enthüllen hatte und es auch nicht in seinem besten Interesse liegen würde, mich noch weiter auszufragen. Er erklärte, das zu verstehen und machte seine Pflicht geltend, einen ausführlichen Bericht über den Vorfall abgeben zu müssen.

Während der Leitung des RVP hatte ich eine Menge unterschiedlicher und reparaturbedürftiger Fahrzeuge in meiner Obhut. Wenn zum Beispiel eine Infanterie-Einheit einen Vergaser für einen 15-Hundredweight-LKW benötigte, war es für sie leichter - mit meiner Genehmigung natürlich - im Park schnell einen auszubauen, als ihn auf dem unendlich langen Weg der Dienstvorschriften geliefert zu bekommen. Am nächsten Morgen, noch betroffen vom vorabendlichen Vorfall, rief ich den Adjutanten der Infanterie an. „Hallo, Reg", sagte er lachend, „ich wusste nicht, dass du dem Secret Service (Geheimdienst) beigetreten bist!" Ich bemerkte verschmitzt, das einzige, was er zu tun habe, wäre sich zu erinnern, wie er seine Ersatzteile bekommen habe. „Mach dir nichts daraus, Reg, der Bericht ist zerrissen worden!" so seine Antwort.

Ein anderer Vorfall, der das Ausgehverbot für Deutsche berührte, ereignete sich eines Abends. Ich hatte ein paar Offiziere vom Royal Army Service Corps zu einer kleinen Dinnerparty eingeladen und Margaret, meine Köchin, da behalten, eben um die Kocherei zu besorgen. Als ich sie nach Hause fuhr, musste ich den Schlagbaum des LKW-Parks passieren. Margaret wohnte nämlich innerhalb des abgesperrten Park-Bereichs. Als der Posten den Schlagbaum für unsere Durchfahrt geöffnet hatte, rief er: „Entschuldigen Sie, Sir!" Ich fragte: „Ja, was ist!?" „Ich habe keinen Einwand, dass Sie sie begleiten", sagte er, „aber sind Sie sicher, Sir, dass Sie die Genehmigung haben „this bit of frat" (Anm.d.übers.:hier soll es sich offensichtlich um eine Anspielung auf die umstrittene Fraternisierung = Verbrüderung zwischen Briten und Deutschen handeln) vom Ausgehverbot auszunehmen ?" Ich traute meinen Ohren nicht! Ich befahl ihm, sich abseits der Hauptwache hinzustellen. Mit sehr ruhiger und kontrollierter Stimme, aber dennoch bedrohend, fragte ich ihn, ob er denken würde, dass ich mich der Gnade eines Soldaten, wie er einer sei, unterwerfen würde, selbst wenn ich nicht die Genehmigung haben würde. Ich ging, obwohl ich innerlich kochte, mit der Überzeugung, dass es ein paar meiner Soldaten gab, die sich das gemeinsam ausgedacht hatten.


Wache vor Schilderhaus am Schlagbaum der Park-Einfahrt

Ich nahm mir dann fest vor, von nun an zu zeigen, was es bedeutete, einen Offizier zu haben, der auch ein anderes Wesen an den Tag legen konnte als bisher. Für den Anfang entschied ich, dass ich mit für sie unangenehmen Dingen beginnen würde. Ich wollte sehr früh am Morgen die Wache hinausjagen, also so, dass die Freiwache schnell geweckt und sich draußen aufstellen sollte, um Männer und Gewehre inspizieren zu können. Ich ließ aber zunächst die Dinge für etwa zehn Tage treiben und dann schlug ich zu. Eines Morgens, etwa 2 Uhr 30 fuhr ich zum Wache-Raum. Bevor ich am Haupt-Schlagbaum ankam, musste ich über die Ruhr-Brücke fahren. An diesem speziellen Morgen fuhr ich über die Brücke und als ich mich der Kurve näherte, stellte ich den Motor ab, nahm den Gang raus und rollte mit dem Jeep geräuschlos bis zur Schranke. Bei meiner Ankunft traute ich meinen Augen nicht. Genau derselbe Soldat, der mich vor ein paar Tagen nach der Genehmigung gefragt hatte, saß schlafend in seinem Schilderhäuschen und ließ sich von einem offenen Feuer wärmen und, unvorstellbar, sein Gewehr war von außen ans Schilderhaus angelehnt. Geräuschlos kroch ich unter der Barriere durch und nahm heimlich sein Gewehr. Dann überquerte ich die Straße und betrat lautlos den Wachraum. Dort fand ich dann den Rest der Wachmannschaft, fünf Mann und einen Unteroffizier fest schlafend vor. Ich stellte das Gewehr in eine verborgene Ecke, zog mich lautlos zurück, wartete ein paar Minuten und bumste dann an die Tür und schrie laut: „Wache draußen antreten, Wache draußen antreten!" Der aus dem Schilderhaus kam hinzu und alle bildeten eine gerade Linie. Zwischenzeitlich wartete ich geduldig, bis sie sich korrekt ausgerichtet hatten. Ich schlug derweil mit meinem Ausgehstöckchen an die Seite eines meiner Beine. Dann wartete ich, dass mir die Waffen zur Inspektion gezeigt wurden. Ich schritt die Front ab und sah, dass der erste Mann mit offenem Mund da stand. Dieser Soldat hatte sich so hingestellt, wie es üblich ist, wenn das Gewehr zur Inspektion hingehalten wird. Ich vermute, dass es seine einzige Hoffnung war anzunehmen, ich würde betrunken sein und seine fehlende Waffe nicht bemerken! „Sergeant", sagte ich mit höchst erstaunter Stimme, „dieser Mann hat kein Gewehr!" Die Augen des Unteroffiziers traten hervor, als ob er an einer Schilddrüsenüberfunktion gelitten hätte. „Wo ist deine verflixte Knarre?" kreischte er den Mann an. „Ich weiß es nicht!" sagte der Soldat zitternd. „Was meinst du damit, du weißt es, verflucht nochmal, nicht?" Der Sergeant kotzte ihn an: „Halt' mich nicht für einen versoffenen Trottel oder soll ich dir was an den Kopf werfen?" „Es müssen die Deutschen gewesen sein," sagte der Soldat, „sie müssen mir ein Schlafmittel gegeben haben, um mein Gewehr zu stehlen!" Der Sergeant explodierte und brüllte: „Erzähl mir nicht einen solchen Scheißdreck! Ich weiß, was du gemacht hast, du hast die verdammte Knarre auf dem Schwarzmarkt verkloppt, und ich hoffe, dass du weißt, dass wir uns noch im Kriegszustand befinden, wo der Verlust einer Waffe ein sehr ernstes, verdammtes Verbrechen ist. Du könntest verurteilt, ja exekutiert werden!" Ich bemerkte dann, dass die linke Wange des Soldaten feucht wurde. Deshalb war es Zeit für mich, das Kommando zu übernehmen. Ich gab Anweisung, dass die Wachmannschaft wegtreten sollte und schickte den Soldaten auf seinen einsamen Weg zum Schilderhaus zurück. Ich sagte: „Ich hoffe, sie realisieren, dass dies eine ernste Angelegenheit ist!" „Ja, Sir!" sagte er kurz und bündig. „Dieses Mal noch nicht, sie können ihr Gewehr in der linken Ecke des Wachraums finden!" sagte ich und erzählte ihm, was ich gemacht hatte. „Dieses Mal will ich ein Auge zudrücken und so tun, als sei es nicht passiert, also vergessen sie es, aber Gott helfe ihnen, wenn ich sie noch einmal erwische!" „Vielen Dank, Sir, vielen Dank!" sprudelte es aus ihm heraus, offensichtlich erfreut und erleichtert. Mein nächster Schritt war, dem Sergeanten einen der größten Anschisse zu verpassen, die er je in seiner Soldatenzeit erhalten hatte, eben weil er während des Dienstes geschlafen hatte. Ich beendete die Sache, indem ich auch ihm zusicherte, ich würde darüber hinwegsehen und es vergessen!

Ich bin nicht stolz auf mein Verhalten in dieser Sache, aber es ist gut bekannt, dass Leute mit meinem sanften Wesen, so sie denn aus der Ruhe gebracht werden, plötzlich das Wesen eines harten und rücksichtslosen Leuteschinders annehmen können. Es war mir nicht unbekannt, dass die deutschen Leute mich für einen „lauen Captain" hielten, vielleicht auch deshalb, wenn sie auf meine sexuellen Zurückhaltungen anspielten. Jedoch sei gesagt, dass meine Aktion die Einheit diszipliniert hat. Nach diesem Vorfall wussten meine Soldaten, wer das Sagen hatte!