Captain Reginald Lockerby als Kommandeur in Westhofen
Teil II
Ich muss das Hunger-Trauma, das zu dieser Zeit unter der deutschen
Bevölkerung herrschte, betonen. Es machte Sex und Zigaretten zur Währung.
Damit man sich vorstellen kann, auf welche Weise der Verstand der
Menschen sich verändert hatte, hier ein Beispiel. Ich diskutierte mit
dem Bürgermeister ein unsere Gebäude betreffendes Problem. Der Bürgermeister
war ein gebildeter Herr. Als ich ihm aber eine Zigarette anbot, griff er
gleich drei Stück! Ich täuschte vor, es nicht wahrgenommen zu haben,
aber ich hatte Mühe, nicht in Gelächter zu verfallen.
Als ich eines Abends vom Dienst zurück ins Haus kam, hörte ich Stimmengeräusche
und Gelächter, das von oben kam. Ich ging in die Küche und fragte Margaret,
meine Köchin:„Wer ist da oben!?" Sie wurde schamrot: „Besucher, Herr
Hauptmann, sie haben eine Einladung von Ihnen!" „Unsinn!" sagte ich und
stürzte die Treppe hinauf. Dort fand ich zwei junge Damen, vielleicht in
den Zwanzigern, in meinem Bett...nackend! „Wer erteilte Ihnen die
Genehmigung hierher zu kommen?" fragte ich. „Ich war es", sagte eine von
ihnen, „ich kopierte Ihre Unterschrift!" Klar, sie arbeitete im Büro.
„Was wollen Sie denn?" fragte ich recht naiv. „Uns war kalt und wir sind
hungrig!" „Aber warum in meinem Bett und unbekleidet!?" fragte ich. „Weil",
sagte eine „wenn es kalt ist, es zu dritt im Bett am besten ist!" Ich
forderte sie auf, sich anzuziehen und in die Küche zu gehen. Margaret
instruierte ich, ihnen was zum Essen zu geben. Bevor sie gingen, gab ich
jeder eine Flasche Steinhäger, und ich schärfte ihnen ein, dass der
nicht zum Trinken sei, sondern sie sollten ihn auf dem Schwarzmarkt gegen
Nahrungsmittel eintauschen.
Ich habe Brad verschiedene Male auf seinen Jagdausflügen begleitet. Der
schlimmste war die Jagd auf Wildenten, denn dabei mussten wir bis zu den
Oberschenkeln im Wasser stehen und ruhig abwarten, bis der Schwarm über
uns hinwegflog, damit wir sie abknallen konnten. Aus ähnlichen Gründen
liebte ich es nicht, Forellen mit Fliegen als Köder zu angeln. Bei einer
Gelegenheit, als ich Brad auf einer Angeltour begleitete, fanden wir eine
hübsch öde Stelle, an der es vor Forellen nur so wimmeln sollte. Er watete
bis zu den Ellenbogen in der Mitte des Bachs, ständig die Angel auswerfend.
Ich saß lesend im Jeep, der am Ufer geparkt war. Plötzlich tauchte, wie
aus dem Nichts, ein Bulle auf. In einer Größe, die ich noch nie gesehen
hatte (und bitte, es ist auf keinen Fall eine geschickte Aufwertung dieser
Geschichte) Die Kreatur schnaubte furchterregend, wie ein Blasebalg und
platzierte dann ihre Hörner unter die vordere Stoßstange des Jeeps,
schüttelte den Wagen ungestüm rauf und runter und hin und her. Schließlich
kam das Tier frei und kam zur Seite des Jeeps, wo es mich ganz nah durch
das Seitenfenster anguckte. Dann drehte der Stier sein Hinterteil mir zu
und schiss reichlich an die Scheibe! Zweifellos bedient von meinem
andauernden Hupen oder nachdem er fühlte, seine Mission erfüllt zu haben,
trottete er davon. Auf jeden Fall fand mein Interesse an Forellen hiernach
ein Ende!
Eines Tages wurde angekündigt, dass Hitler's Lieblingssängerin, ich
glaube ihr Name war Anna Sac
(Anm.d.übers. wahrscheinlich Erna Sack, Koloratursopranistin *1903 †1972)
nach Dortmund kommen wollte, um ein Solokonzert nur für Deutsche zu geben.
Ilse, Inge und ich diskutierten eine Zeitlang darüber. Ilse, die eine
vollendete Musikerin und fähige Klavierspielerin war, bestand darauf,
hinzugehen. Wir sprachen über die Möglichkeiten. Ilse hatte die Garderobe
ihres Mannes aufgehoben und wollte mir daraus ausreichende Zivilkleidung
leihen, damit ich als deutscher Zivilist Einlass begehren konnte.
Voraussetzung war natürlich, dass ich mich nicht durch meine englische
Sprache verriet! Ich sah keine Nachteile in dieser Chance und entschied,
mit Ilse hinzufahren, im OPEL und in Zivil. Wir fuhren nach Dortmund als
deutsches Paar, um uns den Vortrag der deutschen Nachtigall anzuhören.
Es war phantastisch! Ich hatte weder vorher noch habe ich nachher eine
Sopranistin mit einer so hervorragenden Stimme gehört! Alles verlief gut,
bis wir auf dem Nachhauseweg kurz vor Westhofen waren. Unglücklicherweise
und ausgerechnet in der Nacht hatte eine Infanterie-Einheit Streifen
aufgestellt. Sie sollten jeden, der das Ausgehverbot missachtete, kontrollieren.
(Das waren Bestimmungen, die es der Zivilbevölkerung verboten, noch nach
einer bestimmten Zeit draußen herumzulaufen). Wir wurden von einem
Unteroffizier gestoppt, der sein Gewehr bedrohlich auf uns richtete. Er
wollte Ilse's Personalausweis nicht akzeptieren und der einzige
Identitätsbeweis für mich war meine Erkennungsmarke, die ich am Hals trug.
Die aber hätte gestohlen oder gefunden worden sein können. Folglich
bestand er darauf, dass wir langsam zur Wohnung fuhren. Er folgte in
seinem Jeep, begleitet von zwei bewaffneten Soldaten. Ich fuhr zu Ilse's
Haus. Er bestand darauf, zusammen mit den beiden Soldaten einzutreten.
Ich fühlte mich in eine unangenehme Lage gebracht. Der Unteroffizier
bestand dann darauf, mich zu meinem Haus zu begleiten, wo ich sehr schnell
in der Lage war, meine wirkliche Identität zu offenbaren. Das hielt ihn
aber nicht davon ab, eine Menge Fragen zu stellen. Ich gab ihm zu verstehen,
dass das, was ich getan hatte, sehr privater Natur war und ich auf keinen
Fall Einzelheiten zu enthüllen hatte und es auch nicht in seinem besten
Interesse liegen würde, mich noch weiter auszufragen. Er erklärte, das
zu verstehen und machte seine Pflicht geltend, einen ausführlichen
Bericht über den Vorfall abgeben zu müssen.
Während der Leitung des RVP hatte ich eine Menge unterschiedlicher und
reparaturbedürftiger Fahrzeuge in meiner Obhut. Wenn zum Beispiel eine
Infanterie-Einheit einen Vergaser für einen 15-Hundredweight-LKW benötigte,
war es für sie leichter - mit meiner Genehmigung natürlich - im Park schnell
einen auszubauen, als ihn auf dem unendlich langen Weg der Dienstvorschriften
geliefert zu bekommen. Am nächsten Morgen, noch betroffen vom vorabendlichen
Vorfall, rief ich den Adjutanten der Infanterie an. „Hallo, Reg", sagte er
lachend, „ich wusste nicht, dass du dem Secret Service (Geheimdienst)
beigetreten bist!" Ich bemerkte verschmitzt, das einzige, was er zu tun
habe, wäre sich zu erinnern, wie er seine Ersatzteile bekommen habe.
„Mach dir nichts daraus, Reg, der Bericht ist zerrissen worden!" so seine
Antwort.
Ein anderer Vorfall, der das Ausgehverbot für Deutsche berührte, ereignete
sich eines Abends. Ich hatte ein paar Offiziere vom Royal Army Service
Corps zu einer kleinen Dinnerparty eingeladen und Margaret, meine Köchin,
da behalten, eben um die Kocherei zu besorgen. Als ich sie nach Hause
fuhr, musste ich den Schlagbaum des LKW-Parks passieren. Margaret wohnte
nämlich innerhalb des abgesperrten Park-Bereichs. Als der Posten den
Schlagbaum für unsere Durchfahrt geöffnet hatte, rief er: „Entschuldigen
Sie, Sir!" Ich fragte: „Ja, was ist!?" „Ich habe keinen Einwand, dass
Sie sie begleiten", sagte er, „aber sind Sie sicher, Sir, dass Sie die
Genehmigung haben „this bit of frat" (Anm.d.übers.:hier soll es sich
offensichtlich um eine Anspielung auf die umstrittene Fraternisierung =
Verbrüderung zwischen Briten und Deutschen handeln) vom Ausgehverbot
auszunehmen ?" Ich traute meinen Ohren nicht! Ich befahl ihm, sich
abseits der Hauptwache hinzustellen. Mit sehr ruhiger und kontrollierter
Stimme, aber dennoch bedrohend, fragte ich ihn, ob er denken würde,
dass ich mich der Gnade eines Soldaten, wie er einer sei, unterwerfen
würde, selbst wenn ich nicht die Genehmigung haben würde. Ich ging, obwohl
ich innerlich kochte, mit der Überzeugung, dass es ein paar meiner
Soldaten gab, die sich das gemeinsam ausgedacht hatten.
Wache vor Schilderhaus am Schlagbaum der Park-Einfahrt
Ich nahm mir dann fest vor, von nun an zu zeigen, was es bedeutete, einen
Offizier zu haben, der auch ein anderes Wesen an den Tag legen konnte als
bisher. Für den Anfang entschied ich, dass ich mit für sie unangenehmen
Dingen beginnen würde. Ich wollte sehr früh am Morgen die Wache hinausjagen,
also so, dass die Freiwache schnell geweckt und sich draußen aufstellen
sollte, um Männer und Gewehre inspizieren zu können. Ich ließ aber
zunächst die Dinge für etwa zehn Tage treiben und dann schlug ich zu.
Eines Morgens, etwa 2 Uhr 30 fuhr ich zum Wache-Raum. Bevor ich am
Haupt-Schlagbaum ankam, musste ich über die Ruhr-Brücke fahren. An diesem
speziellen Morgen fuhr ich über die Brücke und als ich mich der Kurve
näherte, stellte ich den Motor ab, nahm den Gang raus und rollte mit dem
Jeep geräuschlos bis zur Schranke. Bei meiner Ankunft traute ich meinen
Augen nicht. Genau derselbe Soldat, der mich vor ein paar Tagen nach der
Genehmigung gefragt hatte, saß schlafend in seinem Schilderhäuschen und
ließ sich von einem offenen Feuer wärmen und, unvorstellbar, sein Gewehr
war von außen ans Schilderhaus angelehnt. Geräuschlos kroch ich unter der
Barriere durch und nahm heimlich sein Gewehr. Dann überquerte ich die
Straße und betrat lautlos den Wachraum. Dort fand ich dann den Rest der
Wachmannschaft, fünf Mann und einen Unteroffizier fest schlafend vor.
Ich stellte das Gewehr in eine verborgene Ecke, zog mich lautlos zurück,
wartete ein paar Minuten und bumste dann an die Tür und schrie laut:
„Wache draußen antreten, Wache draußen antreten!" Der aus dem Schilderhaus
kam hinzu und alle bildeten eine gerade Linie. Zwischenzeitlich wartete
ich geduldig, bis sie sich korrekt ausgerichtet hatten. Ich schlug derweil
mit meinem Ausgehstöckchen an die Seite eines meiner Beine. Dann wartete
ich, dass mir die Waffen zur Inspektion gezeigt wurden. Ich schritt die
Front ab und sah, dass der erste Mann mit offenem Mund da stand. Dieser
Soldat hatte sich so hingestellt, wie es üblich ist, wenn das Gewehr zur
Inspektion hingehalten wird. Ich vermute, dass es seine einzige Hoffnung
war anzunehmen, ich würde betrunken sein und seine fehlende Waffe nicht
bemerken! „Sergeant", sagte ich mit höchst erstaunter Stimme, „dieser Mann
hat kein Gewehr!" Die Augen des Unteroffiziers traten hervor, als ob er
an einer Schilddrüsenüberfunktion gelitten hätte. „Wo ist deine verflixte
Knarre?" kreischte er den Mann an. „Ich weiß es nicht!" sagte der Soldat
zitternd. „Was meinst du damit, du weißt es, verflucht nochmal, nicht?"
Der Sergeant kotzte ihn an: „Halt' mich nicht für einen versoffenen Trottel
oder soll ich dir was an den Kopf werfen?" „Es müssen die Deutschen
gewesen sein," sagte der Soldat, „sie müssen mir ein Schlafmittel gegeben
haben, um mein Gewehr zu stehlen!" Der Sergeant explodierte und brüllte:
„Erzähl mir nicht einen solchen Scheißdreck! Ich weiß, was du gemacht hast,
du hast die verdammte Knarre auf dem Schwarzmarkt verkloppt, und ich hoffe,
dass du weißt, dass wir uns noch im Kriegszustand befinden, wo der Verlust
einer Waffe ein sehr ernstes, verdammtes Verbrechen ist. Du könntest
verurteilt, ja exekutiert werden!" Ich bemerkte dann, dass die linke Wange
des Soldaten feucht wurde. Deshalb war es Zeit für mich, das Kommando zu
übernehmen. Ich gab Anweisung, dass die Wachmannschaft wegtreten sollte
und schickte den Soldaten auf seinen einsamen Weg zum Schilderhaus zurück.
Ich sagte: „Ich hoffe, sie realisieren, dass dies eine ernste Angelegenheit
ist!" „Ja, Sir!" sagte er kurz und bündig. „Dieses Mal noch nicht, sie
können ihr Gewehr in der linken Ecke des Wachraums finden!" sagte ich und
erzählte ihm, was ich gemacht hatte. „Dieses Mal will ich ein Auge
zudrücken und so tun, als sei es nicht passiert, also vergessen sie es,
aber Gott helfe ihnen, wenn ich sie noch einmal erwische!" „Vielen Dank,
Sir, vielen Dank!" sprudelte es aus ihm heraus, offensichtlich erfreut
und erleichtert. Mein nächster Schritt war, dem Sergeanten einen der größten
Anschisse zu verpassen, die er je in seiner Soldatenzeit erhalten hatte,
eben weil er während des Dienstes geschlafen hatte. Ich beendete die Sache,
indem ich auch ihm zusicherte, ich würde darüber hinwegsehen und es vergessen!
Ich bin nicht stolz auf mein Verhalten in dieser Sache, aber es ist gut
bekannt, dass Leute mit meinem sanften Wesen, so sie denn aus der Ruhe
gebracht werden, plötzlich das Wesen eines harten und rücksichtslosen
Leuteschinders annehmen können. Es war mir nicht unbekannt, dass die
deutschen Leute mich für einen „lauen Captain" hielten, vielleicht auch
deshalb, wenn sie auf meine sexuellen Zurückhaltungen anspielten. Jedoch
sei gesagt, dass meine Aktion die Einheit diszipliniert hat. Nach diesem
Vorfall wussten meine Soldaten, wer das Sagen hatte!