Bo(x)kampf auf dem Lande
(nach einer wahren Begebenheit)
Hobbybauer Kümpelmann, wie er sich nennt, fährt regelmäßig jede zweite
Woche mit Gattin in die weit entfernte Großstadt. Der Geschäfte wegen
und auch so. Die lieben Leute haben sich - er ein vorzeitig pensionierter
Ressortchef einer größeren Handelsunternehmung - einen Traum von Landleben
wahrgemacht: Einen alten, gediegenen Bauernsitz erworben. An einem
solchen Tag des Fortfahrens nun ist das Viehzeug daheim, Pony, mehrere
Ziegen, Schweinchen und Federvieh, den beiden Omas von 78/80 anheimgegeben;
Mutter und Schwiegermutter des Hausherrn. Wenn jedes Ding an seinem
Ort - Ding im weitesten Sinne - dann geht dieses Unternehmen auch ohne
große Probleme über den Tag. Kommt es dennoch einmal zu Schwierigkeiten
im Laden, ist die Jungmutter und Enkelin Annette, gleich nebenan wohnend,
schnell zur Stelle. Sie ist im Bäuerlichen wohl bewandert und hilft gern
mal aus. Nun kann der ganze wohlausgewogene Plan der „Landflucht" von
Herrn und Frau Kümpelmann doch mitunter ins Gedränge geraten, durch ein
Teufelchen im Detail etwa, wie just am letzten Dienstag geschehen.
Der technisch nicht unbegabte Ziegenbock „Bimbo" zum Beispiel hatte es
fertiggebracht, den Türverschluss seiner Box auszuhebeln. Der übeltäter
spazierte, triumphierend meckernd, siegessicher im geräumigen Stallgang
umher. Er pflegte sozusagen „jedermann" Guten Tag! zu sagen. Zu gut auch
wusste der Souverän, an welcher Stelle der Bauer den begehrten Schnitzelsack
untergebracht hatte. Besser als jede dumme Gans war er im Bilde, wissend
um die Geheimnisse seines Herrn und Meisters, dessen erklärter Stolz Bimbo
wohl war.
Mitten im schönsten Geschmacke nun vernahm der Bock an diesem Morgen
schlurfende Schritte. Sie näherten sich von der Tenne her dem Stallgang.
Dann quarrte der altmodische Fallriegel an der großen, grünen Tür und
... nicht die wohlbekannte Stimme und Statur des Bauern erscheint für
Bimbo im Rahmen, sondern das basserstaunte Schreckgesicht der alten
Dame. „Mein Gott", ist da zu lesen, „der Löwe ist los!" Also bumm,
schnell wieder zu die Tür!
Auch Bimbo seinerseits bemächtigt sich das ungute Gefühl, nun aus dem
Paradiese vertrieben zu werden. Er beschließt kurzerhand, den Störenfried
seiner guten Weide frontal anzugehen. Mit drei, vier markanten Sätzen
fliegt er geradezu zum alteichenen Stallportal, welches ihm gerade noch
eben vor der Nase zugeschlagen wird. Das heißt: Sein Gehörn, sein
Bockshaupt knallt laut polternd gegen die Planken und ... verspürt eine
Nachgiebigkeit. Denn Oma Kümpelmann I hat es in bebender Aufgeregtheit
nicht vermocht, den eisernen Fallriegel hinter den Feststeller einzurasten.
Nun stemmt sie sich mit allen ihr noch zur Verfügung stehenden Kräften
einer Achtzigjährigen wider die wilde Kreatur. Die grüne Tür schwankt,
droht jeden Moment gestürmt zu werden. Kein Zweifel: Es geht um Leben
oder Tod. „Jette, Jette!" ruft sie lauthals und alarmierend in Richtung
Wohnstuben - und pariert erneut einen wuchtigen Boxhieb Bimbos gegen
die Tür. „Jette! So hilf mir doch!" schallt ein abermaliger, heißer
Hilferuf über den Deelentrakt. Und ein ums andere Mal, wenn sie schon
wähnt, sie habe den verflixten Riegel „drin" ... hat der Geißbock ihr
gegenüber, mit der ungebärdigen Kraft eines spanischen Kampfstieres,
abermals das Quentchen „passt-doch" zunichte gemacht. Es ist zum Heulen.
Doch da kommt Hilfe. Endlich! Jette, resolute Kümpelmann Oma Nummro zwo
schlurrtet eilends, rettend heran. Mit vereinter Anstrengung stemmen
sich die beiden Frauen gegen das schwankende Stalltor. Aber jeh...! Wie
aller übereifer nur schadet, so passiert den neu Verbündeten auch gleich
ein tragisches Missgeschick. Die Streitmacht Nummro zwo, einiges
kurzsichtig von Geblüt, latscht wie von ungefähr gegen den wartenden
Stallbesen dicht bei der Tür. Und, wie vom Teufel selber berechnet,
kippt das Ding mittels seines Stielendes ausgerechnet in jenen daumenbreiten
Spalt, den Bimbo mal eben wieder seinen Gegnern jenseits der Planken
hartnäckig abgetrotzt hat. Allsogleich erkennt er auch seinen taktischen
Vorteil. Der Bock zwängt sein linkes Horn energisch in Richtung
Frontverbreiterung. Und was er einmal hat, der Bimbo, das gibt er so schnell
nicht wieder her. So wogt der Kampf, und guter Rat ist teuer. Ewig kann
dieses Patt ja nicht währen.
So ruft man denn, da das Siegesglück sich nicht zwingen lassen will, laut
schreiend zum Hinterfenster hinaus nach Annette. Zu dreien müsste die
vertrackte Situation doch zu klären sein. Die verzweifelten Rufe der hart
bedrängten alten Damen werden denn auch vernommen. Die junge Frau
erscheint auf der Bildfläche ... und erkennt sogleich den Ernst der Lage.
„Moment!" sagt sie und verschwindet kurz. Kommt aber bald zurück mit
etwas Blinkendem in der Hand. „Nun geht mal weg, ihr Omas!" kommandiert
die Bäuerin in Stellvertretung. Ein Ruck ... Porta westfalica open und -
wie wenn ihre Stimme ihn schon besänftigt - der eben noch böse Bimbo
gibt auf, nuckelt und zuckelt und wird abgeführt. Die Bestie ist
gebändigt, von zarter Hand, ganz einfach. Ein ...
Babyfläschchen...
Erich Beckmann