Eine türkische Hochzeit

Wir stehen auf einem Campingplatz am schönen Bafasee im Südwesten von Anatolien in der Türkei. Mit Hüseyin, dem Campingwirt, und seiner Frau Ayse haben wir uns etwas angefreundet und eines Tages laden sie uns zu einer Hochzeitsfeier ein.
Die Abfahrt soll um 4 Uhr sein, aber da tut sich nichts. Gegen 5 Uhr kommt noch ein türkisch-deutsches Ehepaar mit einem Reisemobil an, die werden auch eingeladen - für ½ 7 Uhr. Einesteils hat man ja Zeit genug, aber andererseits ist es auch problematisch bei der Hitze da zu sitzen, angetan mit Hemd und Krawatte, beziehungsweise mit Kleid und Strumpfhose.

Um sieben Uhr fahren wir dann endlich mit unserem Wagen los. Söke ist etwa 40 km entfernt, und wir parken vor einem modernen Mehrfamilienhaus. Man empfängt uns freundlich, aber etwas erstaunt, und es stellt sich heraus, dass Hüseyin das Datum verwechselt hat - die Hochzeit ist erst morgen. Trotzdem werden wir ins Haus gebeten.

Vor der Etagentür zieht jeder seine Schuhe aus. Mindestens zehn Paar stehen da schon. Dann werden wir in ein gut ausgestattetes Wohnzimmer geführt. Nachdem wir alle begrüßt haben, wird uns Tee gereicht.

Bisher hatten wir keine Ahnung, wer da eigentlich heiratet. Jetzt erfahren wir, dass es der Sohn des Grundbesitzers ist, von dem Hüseyin den Campingplatz gepachtet hat, also ziemlich wohlhabende Leute.

Wir werden zum Essen eingeladen und bis das fertig ist, können wir die Wohnung des Brautpaares besichtigen, die über dieser Wohnung liegt. Sie ist höchst elegant und geschmackvoll eingerichtet, selbst nach unseren Begriffen. Das Wohnzimmer ist ganz in grün-weiß gehalten: Couchgarnitur, Teppich, Samtgardinen. Auf dem Tisch liegt eine herrliche, fein gehäkelte Decke. Es gibt eine moderne Einbauküche mit Fliesen zwischen den Ober- und Unterschränken. An den Schrankregalen ist eine gehäkelte Borte angebracht, alles lachsfarben, ebenfalls die Gardinen.

Die Stehtoilette hat einen separaten Waschraum und eine separate Dusche. Hier will ich mal einflechten, wie man in einer Privatwohnung die Stehtoilette benutzt, denn die Schuhe hat man ja vor der Wohnungstür stehen. Vor der Toilettentür stehen sogenannte Toilettenschuhe in verschiedenen Größen - meist aus Gummi - und in die schlüpft man hinein.

Als letztes wird das Schlafzimmer besichtigt. Es gibt ein elegantes Doppelbett und große Wandschränke bis zur Decke. Und nun kommt eine überraschung, als man uns die Schränke öffnet. Da wo bei uns Kleider, Wäsche und Handtücher untergebracht sind, gibt es hier Bettdecken und Kopfkissen - für mindestens 30 Personen. Da sind wir platt. Außerdem gibt es noch ein sehr geschmackvolles Gästeempfangszimmer.

Als wir alles gebührend bewundert haben, geht's wieder eine Etage tiefer. Dort liegt inzwischen ein großes Tischtuch auf dem Teppich. Darauf kommt ein eisernes Gestell und darauf ein tischgroßes rundes Tablett voll mit Speisen. Alle Männer der Familie sowie die Schwester des Bräutigams und eben wir drei Paare setzen uns rundherum auf den Boden, was unseren ungewohnten steifen Knochen recht schwer fällt (besonders nach dem Essen das Aufstehen!).

Es gibt eine Bohnensuppe, die auf vier Teller verteilt ist. In der Mitte ist eine große Salatplatte, dann gibt es Teller mit Fleischklößchen, gebackenen Kartoffeln und Tomaten und natürlich Brot. Es schmeckt gut und es geht sehr manierlich zu, obwohl immer mehrere von einem Teller essen. Zum Schluss gibt's noch mal Tee und als wir um 10 Uhr aufbrechen, müssen wir versprechen, morgen zur eigentlichen Hochzeit wiederzukommen.

Am nächsten Tag fahren wir mit dem Bus des türkisch-deutschen Ehepaares nach Söke. Die Feier findet in einem großen Gemeindesaal statt. Kurz vorher ist in Söke ein sintflutartiger Gewitterregen heruntergekommen, und da leider das Dach nicht dicht war, sind nun etliche Leute damit beschäftigt, mit großen Besen das Wasser aus dem Saal zu fegen. Aber bei der Wärme trocknet alles schnell wieder.

Angehörige und Freunde des Bräutigams sitzen rechts an den Tischen, die der Braut links. In der Mitte steht der Trauungstisch und davor ist eine Tanzfläche frei. Auf einer Bühne nimmt eine 4-Mann-Kapelle mit modernsten elektronischen Instrumenten Platz. Da wir früh dran sind, bekommen wir gute Plätze. Allmählich füllt sich der Saal mit mehreren hundert Personen, vom Greis bis zum Säugling. Für die Kleinsten wird einfach ein Kopfkissen auf den Tisch gelegt und das Baby obendrauf.

Nachdem wir etwa 1 ½ Stunden dort sind, geht es endlich los. Das Licht geht aus. Etliche junge Paare mit Kerzen in den Händen bilden eine Brücke. Und unter dieser Brücke betritt das Brautpaar den Saal. Zunächst ist die standesamtliche Trauung, die ähnlich wie bei uns vonstatten geht. Der Standesbeamte hat ein Mikrofon, beide sagen ihr „evet" („ja") und unterschreiben. Ebenfalls die Trauzeugen.

Die Braut hat inzwischen den dichten Schleier zurückgeschlagen und wir sehen, dass es ein sehr hübsches und sehr junges Mädchen ist. Beim anschließenden Brauttanz nach türkischer Folkloremusik bewegt sie sich fast wie eine Puppe. Kurz drauf tanzt auch die Schwester des Bräutigams mit einer Freundin und einige Ehepaare schließen sich an. Auch mich fordert ein junges Mädchen zum Tanz auf. Nach mehreren langsamen Tänzen spielt die Musik dann Discomusik. Die Braut taut sichtlich auf und tanzt flott. Man merkt, dass das ihr eigentliches Element ist.

Nach einiger Zeit stellt sich das Brautpaar in die Mitte und die Geschenk-Zeremonie beginnt. Als erste kommt eine der Mütter und steckt der Braut einen Ring an, obwohl sie schon 4 an der Hand hat. Es folgen mehrere goldene Armreifen, Ohrringe, eine lange und breite goldene Kette. Die anderen Verwandten schließen sich an. Meist gibt es goldene Armreifen, von denen die Braut zum Schluss mindestens 40 Stück hat. Jede übergabe hält ein Fotograf im Bild fest.

Anschließend treten die Leute vor, die Geld schenken wollen. Der erste Liraschein wird mit einer Stecknadel oben am Brautkleid oder am Anzug des Bräutigams festgesteckt. Die Nächsten stecken ihren Geldschein am vorigen fest usw., so dass zum Schluss das Brautpaar mit wahren Geldscheingirlanden umgeben ist, die bis auf den Fußboden reichen. Als alle gratuliert haben, kommt eine der Mütter mit einer großen ledernen Reisetasche, löst die oberen Stecknadeln und die langen Geldbänder landen in der Tasche. Hier kann man wirklich sagen: „Wo schon viel ist, kommt immer noch was dazu."

Nach dieser Zeremonie wird eine riesige Hochzeitstorte hereingefahren. Sie hat sieben Etagen und ist mindestens 1 ½ m hoch. Zwischendurch tanzen auch Männer allein zur allgemeinen Unterhaltung, und den besten Tänzern steckt der Bräutigam Geld in den Kragenausschnitt.

Gegen 11 Uhr beginnt es sich zu leeren und auch wir brechen bald auf. Es war ein erlebnisreicher Abend!

Von Ingeborg Tillmann