Schwerter Eisenbahngeschichte
Frauen im Dienst der Staatseisenbahn
1915 - 1917
Je länger der Weltkrieg (1914 - 1918) andauerte, um so mehr männliches
Eisenbahnpersonal wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Aus diesem Grund eröffneten
sich die Beschäftigungsmöglichkeiten weiblicher Arbeitskräfte bei der Bahn.
Im August 1916 waren bereits 40.000 weibliche Personen bei der Eisenbahn
beschäftigt. Es wurden in dieser Zeit Stellen besetzt, welche den Frauen in
vorangegangener Zeit völlig unzugänglich waren. Durch einen Beschluss des
Ministers von Breitenbach erging der Erlass, dass sämtliche einberufene Beamte
und Arbeiter durch weibliche Kräfte ersetzt werden sollten, da Frauen sich
im westfälischen Industriegebiet an den Werkbänken bewährt hatten. Die
Eisenbahnwerkstätten und Maschinenämter sollten ebenfalls in diese Richtung
Versuche unternehmen und Frauen in den Werkstätten, Büro-, oder Wachdiensten
einsetzen.
Mit dem 01.08.1916 sind auch Frauen bei der Staatseisenbahnverwaltung im
Schaffnerdienst eingestellt worden. Ihnen war eine einheitliche Dienstkleidung
vorgeschrieben. Sie bestand aus einer Joppe, einer Mütze und wegen der Unfallgefahr,
einem dunkelblauen Beinkleid. Außerhalb der Bahnanlagen waren Röcke zwingend
vorgeschrieben. In ähnlicher Weise wurden wenig später auch die Arbeiterinnen
in den Werkstätten und die im Streckenbau beschäftigten weiblichen Personen
ausgerüstet.
Mitte November war das Ministerium der Meinung, dass Frauen im Eisenbahndienst
nicht mehr unbedingt einer ärztlichen Untersuchung bedürfen, wenn der Innendienst
in Frage kommt. Für weibliche Kräfte, die im äußeren- und im Fahrdienst beschäftigt
werden sollten, waren das Sehvermögen und die Farberkennungsmöglichkeiten durch
einen Bahnarzt festzustellen. Im übrigen genügte es, wenn Bahnärzte und
Dienstvorsteher bei der Einstellung der Frauen keine Bedenken hatten.
Am Ende des Jahres 1915 war das erste weibliche Unfallopfer, am 21.12.1915,
in Schwerte zu beklagen. Die junge Klara Scheidt hatte in ihrem Nachtdienst
Rangierarbeiten zu verrichten. Beim Ankoppeln zweier Wagen geriet sie mit dem
Kopf zwischen zwei Kuppelstangen und verletzte sich so schwer, dass eine
überführung in das hiesige katholische Krankenhaus erfolgen musste.
Durch diese Einsätze, so wurde am 14.06.1916 bekanntgegeben, konnten im Jahre
1915 im Personenverkehr 70 % der gefahrenen Kilometer als Leistung erfüllt werden.
Der Güterverkehr erreichte mit 140 Mio. Mark 90 % der erwirtschafteten Einnahmen
gegenüber den Friedenszeiten. Die Schwerter Zeitung würdigte in diesem Zusammenhang,
dass die Eisenbahn ein Mehrfaches an Leistung erbrachte als vor Beginn des Krieges.
Die Frauen seien somit der Hauptfaktor des Sieges und des Durchhaltens an der Front
wie in der Heimat.
Ab Januar 1917 konnte auch an Frauen, welche sich im Einsatz bewährt hatten, das
Verdienstkreuz verliehen werden. Dieses Kreuz wurde an einem schwarzweiß, sechsmal
gestreiften Band mit rotem Vorstoß getragen. Im Ordnungsrang hatte es seinen Platz
hinter der Rettungsmedaille, aber noch vor dem Orden der dritten Klasse, also eine
hohe Auszeichnung. Es war ein achtspitziges Kreuz aus grauem Kriegsmetall und trug
auf der Vorderseite die Inschrift: - Für Kriegshilfsdienst -, sowie auf der Rückseite
den gekrönten Namenszug des Kaisers.
Den Eisenbahnschaffnerinnen musste auf Erlass des Eisenbahnministeriums Anfang
September 1917 das Tragen von Schuhen mit hohen Absätzen verboten werden, da
sich in der letzten Zeit die Unfälle im Fahrdienst sehr vermehrt hatten.
Von einem schweren Unfall wurde am 8. Oktober 1917 auf dem Bahnhof Schwerte die
18-jährige Hilfsschaffnerin Helene Sperlich aus der Kampstraße betroffen. Beim
überschreiten der Gleise wurde das junge Mädchen von einem einlaufenden Personenzug
aus Dortmund erfasst und zur Seite geschleudert. Dabei erlitt sie eine schwere
Schädelverletzung. Nachdem der Sanitätsrat Dr. Emmerich erste Hilfe geleistet hatte,
wurde sie durch die Sanitätskolonne in das evangelische Krankenhaus gebracht.
Der preußische Eisenbahnminister ordnete Mitte Oktober 1917 an, dass eine
genügende Anzahl von Frauen im Lokomotivheizerdienst ausgebildet werden, um
für den Winter eine genügende Reserve an Lokomotivpersonal zu besitzen. Dadurch
konnten die männlichen Bediensteten zu Arbeiten in den Werkstätten herangezogen
werden.
Auch zu Rottenarbeiten waren Frauen eingesetzt. Die Reparaturarbeiten und
Gleisverlegungen wurden bei jedem Wind und Wetter, mit einem 12-stündigen
Arbeitstag, von 06.00 bis 18.00 Uhr, durchgeführt. Die Vergütung lag in dieser
Zeit bei 1,90 Mark in der Stunde.
Auf traurige Weise kam am 2. April 1918 die Schaffnerin Auguste Becker aus
Langenscheid am Schwerter Bahnhof ums Leben. Ein Packwagen des Güterzuges, den
die junge Frau begleitete, entgleiste im Schwerter Bahnhof. Die Zugbegleiterin
geriet so unglücklich unter den Wagen, dass sie nur noch tot geborgen werden
konnte.
Bis Juli 1918 stieg der Anteil der Frauen im Eisenbahndienst um das Zehnfache
an. Die Schwerter Zeitung schreibt in diesem Zusammenhang, dass durchschnittlich
110.000 Frauen im Staatseisenbahnwesen tätig sind. Selbst in den Grenz- und
Frontgebieten waren 3.500 Frauen, vorwiegend im süddeutschen Raum, beschäftigt.
Nach Kriegsende forderten auf einer außerordentlichen Versammlung am 8. Dez.
1918 im „Westfälischen Hof" die Schwerter Eisenbahner unter anderem auch die
Entlassung aller im Fahrdienst tätigen Frauen.
Durch die Direktionen wurde am 12.12.18 mitgeteilt, dass die 100.000 Frauen,
welche während des Krieges bei der Staatsbahn beschäftigt waren, langsam wieder
durch männliche Angestellte ersetzt werden sollen.
Der Weltkrieg und die Eisenbahnpropaganda
Eine enorme Wendig-, Schnelligkeit für Truppentransporte stellten die Schienenwege
im gesamten Kaiserreich dar.
„Wer die Mobilmachung um 1870 noch miterlebt hat," so hieß es in einem Aufruf
Mitte April 1913, „der weiß, dass sich der Aufmarsch Deutscher Soldaten viel
präziser vollzogen hat als der der Franzosen. Dies lag zu einem Grosteil an der
bedeutenden Anzahl von Schienenwegen. Um so erfreulicher ist es heute, dass das
Kaiserreich mit einem dichten Eisenbahnnetz überzogen ist. Neue Schienennetze,
Gleise und Bahnstationen sowie Güterbahnhöfe, welche im Mobilmachungsfalle große
Bedeutung erlangen müssen, werden gebaut. Um einem schnellen Aufmarsch der Russen
oder Franzosen an den Grenzen entgegen wirken zu können, ist es notwendig, dass
jeder Eisenbahner im Falle eines Krieges seinen Dienst auch weiterhin pünktlich
und zuverlässig zu versehen hat. Eine einzige falsch gestellte Weiche, eine einzige
Entgleisung, die den Truppentransport hemmt, kann erheblichen Einfluss auf den
Ausgang eines ganzen Feldzuges haben.
Ein moderner Krieg wird heute durch hohe Transport- und Verpflegungsleistungen
auf dem Schienenwege entschieden. Ein einziger gesprungener Radreifen, ein einziger
müder Beamter kann das Unterste zu Oberst kehren. Aus diesem Grunde ist unser Heer
von der Zuverlässigkeit und der Wachsamkeit unserer Eisenbahnbeamten und Arbeiter
abhängig." (Zitatende)
Geschichte der Schwerter Eisenbahn ab 1915
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Telegraf auf Blockstelle
Heide |
Die Schwerter Zeitung berichtete Anfang April 1915, dass die Gemeinde Schwerte
und andere Kommunen in diesem Jahr kaum mit Steuereinnahmen aus dem Eisenbahnfiskus
rechnen können. Den höheren Einnahmen der letzten Monate, stehen die enormen Ausgaben
aus den ersten Kriegstagen des Jahres 1914 gegenüber.
Wie wichtig unsere Station als Drehscheibe in diesen Kriegsjahren war, zeigt
auch stellvertretend für viele andere Verwundetentransporte der folgende Bericht:
In der Nacht vom Donnerstag, 2.08.1915, zum Freitag traf auf dem Bahnhof in
Schwerte wieder ein Verwundetentransport aus dem Osten ein. Aus diesem Zug wurden
163 Verwundete, welche für die Lazarette Arnsberg, Neheim und Brilon bestimmt
waren, verteilt. Nachdem die Selbigen mit Kaffee versorgt waren, erfolgte der
Weitertransport durch die hiesige Sanitätskolonne in die genannten Lazarette.
Spenden, die sog. Liebesgaben, so wurden sie damals genannt, wie Lebens- und
Genussmittel an die Frontsoldaten, gleichfalls auch Geldspenden an die Staatskasse
waren an der Tagesordnung. Täglich waren Aufrufe in den Zeitungen zu lesen.
So spendete am 19. Juli 1915 der Staatseisenbahnerverein Schwerte aus seinem über
5.000 Mark bestehenden Vereinsvermögen 1.700 Mark für den Kriegsdienst, sowie
1.200 Mark an das Rote Kreuz. Aus dem Vorstand wurden an diesem Tag der
Bahnhofsvorsteher Petruschke und sein Stellvertreter, der Eisenbahnassistent
a.D. Bergmann zum Ehrenvorsitzenden ernannt.
Aus diesen gesammelten Geldern des gesamten Kaiserreiches, waren mit Datum
des 21.8.1915 bereits 75 Lazarettzüge im Einsatz. Davon alleine 43 für das
Rote Kreuz. Jeder dieser Züge schlug mit einem Kostenpunkt zwischen 100.000
und 150.000 Mark in der gesamten Ausstattung zu Buche.
Der „Chef des Feldeisenbahnwesens" wies in den Novembermonaten die Bahnhofsgastwirte
durch einen Erlass darauf hin, keine Spirituosen an die Zivilbevölkerung sowie
an Militärpersonen und Transporte abzugeben. In diesen Tagen wurden auch die
Preise für Getränke und Speisen angehoben. So zahlte man ab sofort, nach der
Speisekarte in der Bahnhofswirtschaft zu Schwerte, in den Wartesälen aller
Klassen für:
ein Glas Lagerbier 20 Pfennig
ein gekochtes Ei 25 Pfennig
eine Tasse Fleischbrühe 35 Pfennig
Eierspeisen und Fleischbrühe mit Einlagen wurden in den Klassen eins und zwei
mit 1,40 Mark und den Klassen drei bis vier mit 1,25 Mark berechnet.
(Das Verhältnis kann ungefähr mit 1,- Reichsmark = 20,- D-Mark heute vergleichen
werden).
Kriegsbedingte Arbeiten in Schwerte
Mitte September 1915 lief die Verbreiterung der Unterführung an der Ostberger
Straße zum Grüntal hin ihrer Vollendung entgegen. In Folge des erhöhten
kriegsbedingten Güterverkehrsaufkommens zwischen der Dortmunder und der
Arnsberger Strecke zum Verschiebebahnhof Geisecke, musste diese Brücke von
vier auf sieben Meter verbreitert und auf der nördlichen Seite angehoben
werden. Auch in ihrer südlichen Hälfte wurde die zwölf Meter lange Bahnüberführung
in die gleiche Breite gebracht.
Mutproben
Von bösartigen Jugendstreichen kann auch schon aus jenen Zeiten berichtet werden.
Aus einer Gruppe jugendlicher Arbeiter, welche am Bahndamm im Wandhofener Feld
lagerten, lief der 15-jährige Tillmann auf den Bahndamm hinab, um sich vor den
aus Hagen heranbrausenden Eilzug zu werfen. Das Personal merkte dies früh genug
und gab pfeifende Warnsignale ab. Der junge Bursche aber rührte sich nicht. Als
der Zug bis auf 20 m herangekommen war, musste man ihn halten lassen. Der
Jugendliche sprang auf und verschwand in den Kornfeldern. Zur Aufklärung des
Frevels nahm man einen anderen Jungen fest und brachte ihn im Packwagen bis
zur Station Schwerte, um ihn der Polizei zu übergeben.
Jugendlicher Leichtsinn ist auch aus dem Anfang des Jahres 1916 überliefert.
Auf unbegreifliche Weise sprang der junge Josef Glade in der Nähe des Grüntal,
am 6. Februar, von einer Signalbrücke auf einen fahrenden Zug. Der Bedauernswerte
wurde unterwegs von Bahnpersonal auf einem Wagen liegend vorgefunden. Mit schweren
Verletzungen und einem Beinbruch musste er daraufhin dem Hörder Krankenhaus
zugeführt werden.
„Sommerzeit"
Die Sommerzeit ist keineswegs ein Produkt unserer heutigen modernen Zeit.
Ich selbst war bei meinen Recherchen erstaunt, dass bereits Anfang April auch
auf dem Bahnhof Schwerte durch rote Plakate auf die Umstellung der Sommerzeit
hingewiesen wurde. Nach einer Dienstanweisung mussten am 30. April 1916 sämtliche
Uhren in den Stationszimmern und selbst die Taschenuhren der Beamten um eine Stunde
von 11 Uhr auf 12 Uhr vorgestellt werden. Die für die Bahnunterhaltenden beschäftigten
Personen wurden durch die zuständigen Bahnmeistereien rechtzeitig von der
Zeitumstellung verständigt.
Das Eiserne Kreuz konnte auch vielen Fronteisenbahnern für mutigen Einsatz
verliehen werden. Stellvertretend für diese Verleihung sei an dieser Stelle
der Schwerter Lokomotivführer Ridmann erwähnt. Nachdem er am 18. Januar 1916
an der Westfront unter Einsatz seines Lebens einen Munitionstransport vor
einem Fliegerangriff in Sicherheit gebracht hatte, wurde ihm diese hohe
Auszeichnung verliehen.
Kriegsbedingt machte sich in der Vorweihnachtszeit ab dem 19. Dezember des
selben Jahres ein Lokomotivenmangel bemerkbar. Dies wurde in der Schwerter
Zeitung wie folgt dargestellt:
Der Schnellzug Köln - Berlin über Schwerte wird entspannt, d.h. die Züge
sollen mit einer Lokomotive eine größtmögliche Reichweite erzielen.
(Die Lokomotiven werden eingespart für Heereszwecke.) Des weiteren wird am
29. Dezember 1916 durch das Ministerium darauf hingewiesen, dass die
Güterwagen bis zur äußersten Grenze zu beladen sind. Ankommende Kohlewagen
sind sofort zu entladen und wieder freizugeben.
Hilfe zur Selbsthilfe - Garten und
Kleintierzucht
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Ziegenzucht auf Block
Heide |
Der Kriegswinter, 1917, der Mangel an Gärten und die wenigen Möglichkeiten
der Viehhaltung in den Großstädten des Ruhrgebietes, machten Hamsterfahrten
notwendig. So teilte die Regierung in Münster den Kreisschulinspektoren am
1.10.1917 folgendes mit:
In den Eisenbahnzügen werden jetzt häufig schulpflichtige Kinder aus den
Industriegebieten angetroffen, die von den Eltern auf das Land geschickt
werden, um dort Lebensmittel zu besorgen. Die Kinder sind fast immer ohne
Barmittel und Fahrkarte. Es ist in der Eisenbahn nicht möglich, die Richtigkeit
der Angaben der Kinder zu überprüfen. (Teilweise wird hier von sittlicher
Verwahrlosung geschrieben.) Wir ersuchen sie, für eine angemessene Belehrung
der Eltern und Schüler zu sorgen, damit diesem Umherziehen der Kinder mit all
seinen üblen Begleiterscheinungen Einhalt geboten wird.
Aus diesem Grund erfreute sich die Garten- und Kleintierzucht um 1917 zunehmender
Beliebtheit in den Kreisen der Bahnbediensteten, welche die Eisenbahnverwaltungen
nach bestem Wissen und Gewissen unterstützten. Wenn vor dem Kriege sich nur ein
kleiner Teil der Bediensteten mit Garten und Kleintierzucht beschäftigte, so war
während des Krieges ein recht ansehnlicher Teil derselben zur Selbstversorgung mit
den notwendigen Lebensmitteln übergegangen.
Durch die Ausnutzung jedes geeigneten Stücks bahneigenen Landes war mancher
Familie die Sorge der Nahrungsmittelbeschaffung genommen. Auf dem Gebiet der
Ziegenzucht, die wegen der Milchknappheit von großer Bedeutung war, wurden
ebenfalls recht ansehnliche Fortschritte erzielt.
Klaus H. Huhn.
Wird fortgesetzt
Mit freundlicher Unterstützung der Stadtbücherei und Stadtarchiv
Schwerte.
Quelle:Schwerter Zeitung d. Jhrg. 1915/17