Das versunkene Schloss im Hengsteysee

Versunken in den Fluten des Hengsteysees ist im wahrsten Sinne des Wortes das alte Schloss Niedernhofen der Herren von Ovelacker. Unmittelbar auf dem linken Ufer der alten Ruhr gelegen, zeigt sich noch heute sein Standort dem Betrachter vom Flugzeug aus als ein dunkles Viereck in den Wassern des Sees, etwa 150 m südlich des Koepchenwerkes.

Die einzige Ansicht des Schlosses findet sich in der Karte der Böhler Markenteilung von 1770. Das zweistöckige walmgedeckte Herrenhaus mit dem ebenerdigen Kellergeschoss öffnet sich nach Osten zu dem von Wirtschaftsgebäuden beidseitig flankierten Schlosshof. Eine geschwungene Freitreppe führt hinauf zum Haupteingang im ersten Stock, welcher wohl selbst bei großem Ruhrhochwasser nicht überflutet wurde. Die schon entfestigte Schlossanlage dürfte, so wie sie sich in dieser Ansicht präsentiert, aus dem 17. Jhdt. stammen.

Das Rittergut Haus Niedernhofen war ein Lehen der Edelherrn von Volmarstein bzw. ihrer Nachfolger, der Herren von der Recke-Volmarstein. Seit dem 14. Jhdt. trugen es die Herren von Ovelacker zu Lehen. Dieses Geschlecht, das im Verein mit den Herren von Syberg zum Busch zu den einflussreichsten Familien des Hagener Raumes zählte, hat die hiesigen Verhältnisse durch seine Machtstellung maßgeblich beeinflusst.

Ende des 14. Jhdts. gehörte Bernd von Ovelacker, zusammen mit Hermann von Syberg zum Busch, auch zur adligen Burgmannschaft des Sobbe'schen Hauses Villigst. Er besaß dort ein Wohnhaus und Stallungen, in deren Ausbau er eine beträchtliche Summe investiert hatte. Aufgrund des dort „verzimmerten Geldes" erhob er sogar 1418, nach dem Tod des Johann Sobbe, Ansprüche auf Haus Villigst. Vergeblich zwar, doch mussten die Sobbe'schen Erben, die Eheleute Diedrich v. d. Recke und Elisabeth Sobbe, die Tochter Johanns, seine finanziellen Ansprüche anerkennen, welche aber 1461, bei der Neubelehnung des Evert v. d. Mark mit Haus Villigst, noch nicht abgegolten waren.

Letzter männlicher Namensträger des Hauses Ovelacker zu Niedernhofen war Arnold Anton Diedrich von Ovelacker. Ihm übertrugen seine beiden Onkel mütterlicherseits, die Brüder und Domherren Caspar Engelbert und Gerhard Moritz von Fresendorf, ihren Rittersitz Haus Opherdicke.
Am 9. April 1715 wurde er damit durch den Kölner Erzbischof Josef Clemens von Bayern belehnt. Da er jedoch schon 1716 ohne männliche Leibeserben verstarb, fiel Opherdicke wieder an die Fresendorf zurück, welche es 1719 an den Generalmajor Johann Diedrich von Hane zu Werve verkauften. Auch Haus Niedernhofen kam so in andere Hände. Es fiel als erledigtes Lehen wieder an die Herren von der Recke-Volmarstein zurück. Von diesen kam es später an die Herren von Landsberg-Steinfurt.

1857 brannte das Herrenhaus nieder und wurde nicht wieder aufgebaut. Die Wirtschaftsgebäude wurden verpachtet. Im Jahre 1895 erwarb der Hagener Schraubenfabrikant Wilhelm Funke, den alle Welt liebevoll spöttisch „Schruwen Wilm" nannte, das Rittergut Niedernhofen. Etwa 700 m ruhraufwärts, oberhalb des alten Schlosses, auf dem rechten Ruhrufer am Hang des Klusenberges, erbaute er das neue Haus Niedernhofen, eine prachtvolle, burgähnliche Villa, welche im Volksmund den Namen „Funkenburg" erhielt, vermutlich weil er im Park hinter der Villa, ganz im Stil des Historismus, eine künstliche Ritterburgruine errichten ließ. Um seine Fabrik in Hagen jederzeit ohne große Umwege erreichen zu können, erbaute Funke eine private eiserne Fußgänger-Hängebrücke über die Ruhr, welche zwischen zwei „mittelalterlichen", gezinnten „Burgtürmen" den Fluss überspannte. Mit dem südlichen Brückenturm verbunden, der als „Mäuseturm" noch vielen Leuten bekannt sein dürfte, war ein burgartiges Gebäude, in welchem der Kutscher wohnte und in dem sich die Pferdeställe und die Wagenremise befanden.
Ein Dammweg führte von hier, quer durch die Ruhrwiesen, in Richtung Hengstey. Selbst bei mäßigem Hochwasser, wenn die Ruhraue schon völlig überflutet war, konnte man diese Privatstraße noch befahren. Falls sich die Verhältnisse seit meiner Jugendzeit nicht geändert haben, so dürfte es einem Fußgänger noch heute möglich sein auf ihr, in knietiefem Wasser, den halben Hengsteysee zu durchqueren. Eine Bildpostkarte von etwa 1900 vermittelt ein schönes Bild von der Funkenburg, diesem „Hohenschwangau der Ruhr".

Im Jahre 1919 verkauften Funkes Erben, zu denen auch unsere ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funke gehört, die Ländereien des Hauses Niedernhofen an den Ruhrverband Essen, der ab 1926 mit den Bauarbeiten zu dem neuartigen Ruhrsperrwerk - dem Walzenwehr in Hengstey - begann, welches 1929 die Ruhr um 4,5 m zum jetzigen Hengsteysee aufstaute, dessen wichtigste Funktion noch heute darin besteht, als biologische Kläranlage das Ruhrwasser sauber zu halten.

Reinhold Stirnberg