Vorsichtig, aber vergesslich

"Warum passiert mir bloß immer sowas!?"

Vom Nachttau erfrischte und früh morgens geschnittene Blumen halten länger. Also holte Regina sofort nach dem Frühstück Maiglöckchen aus dem Garten, schmückte damit den Tisch im Wohnzimmer und las dann erst Zeitung. Danach spülte sie das Frühstücksgeschirr und wollte dann Blusen in den Kleiderschrank hängen.

"Meine Güte! Das Fenster ist ja noch offen. Vorhin habe ich also vorn sorgfältig die Tür vor Einbrechern verschlossen und hinten das Fenster sperrangelweit offen gelassen?"

Ähnliches war ihr schon öfter passiert. Als sie einmal vom Einkaufen nach Hause kam und schnell auf die Toilette wollte, empfing sie im Bad der weit offenstehende Fensterflügel.

Ängstigendes leistete die alte Dame sich auch am Geburtstag ihrer Freundin. Sie wohnt im Nachbarhaus und daher gingen die beiden Frauen als es dämmerte eben zum Schließen der Rolladen rüber, damit es so aussähe, als wäre jemand da.

Das Fest dauerte lange und als Regina nachts den Schlüssel ins Schloss ihrer Korridortür stecken wollte, lief sie auf.

"Was ist das denn!?" Regina wurde es ganz heiß. Sie wusste genau, dass sie abgeschlossen hatte und der vorstehende Sperriegel bestätigte es auch.

"Die Fußmatte liegt schräg und die Ecke steckt unter der Brücke des Dielenteppichs. Ob mir die Matte beim Rausgehen verrutscht ist und ich es nicht bemerkt habe wegen der eifrigen Schwätzerei?" Regina stand und starrte auf den Spalt. "Hole ich jemanden, damit ich nicht allein rein gehen muss? - Wenn aber niemand drin ist, werde ich ausgelacht." Ihre Hände wurden feucht. "Wahrscheinlich hat es überhaupt niemand bemerkt, denn die Tür war ja fast zu!" Regina holte tief Luft, zog die Schultern hoch, drückte gegen den Türknauf und schob die Tür offen. Außer dem schabenden Geräusch der Türdichtung auf dem Teppichboden war nichts zu hören. Sie schlich in die Wohnung, klinkte leise hinter sich die Tür zu und horchte. Alles blieb ruhig.

Licht an! - Es sah aus wie immer.

Vorsichtig schlich Regina von Zimmer zu Zimmer, schob jede Tür langsam bis zur Wand und linste trotzdem noch dahinter, hob die Tischdecke an -- niemand; unterm Bett - auch nicht. Zurück in die Diele.

"Zum Bad steht die Tür halb offen. Hat die vorhin auch so gestanden?" Mit dem Zeigefinger tippte sie an die Klinke und schob langsam die Tür bis zur Wand. Ihr Blick fiel auf den auseinandergezogen Duschvorhang. Er bildete mit den Wänden ein Karree.

"Ob da einer drin steht? - Und was ist, wenn sich an dem Duschkopf jemand aufgehängt hat?" Die alte Dame stand wie angewurzelt, hörte ihr Herz klopfen und wurde ganz zittrig. Sie setzte sich auf eine Ecke des Badezimmerhockers, sprang aber sofort wieder auf.

"Blödsinn!" sagte sie laut, um sich Mut zu machen und knetete ihre schwitzigen Hände. "Warum soll sich jemand genau meine Dusche aussuchen, um sich aufzuhängen? - - - Verstecken? Ja! - Aufhängen? Nein! - Aber wenn doch? - - - Und wenn sich wirklich nur jemand versteckt, steht er jetzt vielleicht sprungbereit dahinter und stürzt gleich hervor?"

Sie starrte den Vorhang an. Er bewegte sich nicht.

Vorsichtig hob sie einen Zipfel etwas an - nur weiße Duschtasse! Sie zog die Vorhangecke höher - bloß weinrote Fliesen. Mit Schwung schleuderte sie den Vorhang ganz zur Seite und sprang zurück. -Gähnende Leere.

"Gott sei Dank!" stieß sie hervor, plumpste auf den Hocker, lehnte den Kopf gegen die Heizung und sah die herunter hängende Klappe in der Zwischendecke.

Wilma Frohne