Eine vorösterliche Geschichte

Eine Geschichte aus meiner Heimat Riesengebirge-Waldenburger-Bergland erzählt von einem kleinen braungefleckten mit einigen gelben Federn geschmückten Vogel, der zur Rasse der Finken zählt.

Aber etwas besonderes ist an dem Vogel, er hat nämlich einen gekreuzten Schnabel; der Oberschnabel wächst kreuzförmig über den Unterschnabel.

Dieser Vogel lebt vorwiegend in Fichtenwäldern, wo er auch seine Nahrung findet.

Ich kann mich sehr gut an diesen Vogel erinnern, denn mein Großvater hatte außer anderen Vögeln auch einen Kreuzschnabel im Käfig.

Es war schon eine traurige Zeit, die von der Kaiserzeit bis in die 20er Jahre dauerte. Man fing Vögel mit Leimruten, um sie in Käfigen zu halten. Ich habe dies auch leider sehr oft im Ausland beobachtet. Trotz vieler Gespräche mit den Menschen glaube ich nicht, die Vogelfänger überzeugt zu haben, die Vögel in der Natur zu belassen.

Ich habe als kleines Kind (etwa 5 - 6 Jahre alt) mal einen Zeisig aus dem Käfig meines Großvaters in die Freiheit entlassen. Der Vogel war erst ein paar Tage in der Gefangenschaft und sollte mal als Lockvogel dienen. Natürlich setzte es ein paar Ohrfeigen.

Aber zurück zu dem Kreuzschnabel. Man erzählt sich in meiner Heimat die Geschichte, dass der Vogel die Nägel aus der Hand des gekreuzigten Christus herausziehen wollte und so den gekreuzten Schnabel behielt.

Und so wurde der Kreuzschnabel für uns ein heiliger Vogel, ja, wenn man diesen Vogel im Walde sah, war das ein Glückstag und man hatte den ganzen Tag Glück, jedenfalls glaubten wir daran.

Der Gesang dieses Vogels hat eine kleine Nuancenänderung gegenüber den Finken, wenn man mit Vögeln vertraut ist.

So wurde der Kreuzschnabel zum Ostervogel, dem Tag der Auferstehung, der Freude.

(Erwin Maximilian Riedel)