Vom Namen und dem Wappen
der Stadt Schwerte

Teil I: Zur Namensdeutung von Schwerte

Die älteste schriftliche Überlieferung des Namens "Schwerte" lautet "suerte". Wir finden ihn in dieser Form im "Werdener Urbar", einem Schenkungsverzeichnis der Reichsabtei Werden a. d. Ruhr von etwa 970 und 1100, in einer Abschrift des 12. Jhdts.

In der Frage zur Bedeutung des Namens suerte gehen freilich die Meinungen der Fachleute weit auseinander. So interpretiert Dr. Wilhelm Bleicher den Namen, indem er von einem dreisilbigen su-er-ta ausgeht, als "Ort, wo es Schweine gibt"(1) Prof. Dr. Paul Derks dagegen als "Die Schwärze"(2). Die bisherige Deutung von suerte, als "nasse Erde", ist dagegen ins Hintertreffen geraten. Wer hat nun Recht? Hierüber ist es zwischen Derks und Bleicher zum Gelehrtenstreit gekommen, der von Derks, mit heftigen Angriffen gegen Bleicher, in die Öffentlichkeit getragen wurde.
Auszug aus dem Werdener Urbar von etwa 970, in der Abschrift
des 12. Jhdts. StADüsseldorf, Werd. Dep. + HS Nr. 9, Bl. 31b.


Obwohl ich kein Sprachwissenschaftler sondern nur ein Laie bin, sind mir doch die Schwächen der Bleicher'schen Thesen wohl bewusst. Sie bedürfen gewiss teilweise noch der Nachbesserung, keinesfalls der Damnatio. Doch auch die umfangreiche Arbeit von Derks lässt etliche Fragen unbeantwortet, bzw. hat er sie sich erst gar nicht gestellt. Der Grund liegt meiner Meinung nach in dem Ausschließlichkeitsanspruch seiner Thesen. So lässt er nur eine altsächsische-niederdeutsche Herkunft des Namens suerte gelten. Auf dieser Basis vertritt er seine Thesen mit sprachwissenschaftlichen Methoden logisch, schlüssig, konsequent. Doch so überzeugend seine Beweisführung auch ist, sie gilt nur, wenn auch die Ausgangslage stimmt. Doch daran hege ich erhebliche Zweifel. Daher lege ich im Folgenden auch den Finger an die Stellen, wo es schmerzt.

Um es gleich vorweg zu sagen, mit Schwertern hat der Name unserer Stadt nichts zu tun, da nach dem hier im Hochmittelalter gesprochenen altsächsich-niederdeutschen Dialekt das Wort Schwert, als "swerd", mit auslautendem "d" gesprochen und geschrieben wurde und die althochdeutsche bzw. mittelhochdeutsche Sprachgrenze zum Niederdeutschen um 1000 herum unseren Raum nicht berührte. Daher kann das althochdeutsche "swert" mit auslautendem "t" auch nichts mit "suerte" zu tun haben.

Gegen diese, von Gerhard Hallen, Dr. Leopold Schütte3) und Paul Derks4) vertretene Ansicht ließen sich allerdings zwei gewichtige Gegenargumente ins Feld führen. Zum Einen entstand das Werdener Urbar unmittelbar an der althochdeutschen-altsächsischen Sprachgrenze, wie Sie der Karte entnehmen können. Ein althochdeutscher Spracheinfluss auf den Schreiber des Urbars kann darum nicht generell ausgeschlossen werden. Zum anderen sind da noch die nach 1200 auftretenden Schreibweisen "sverthe" und "Swerthe" etc. Nach Derks entspricht das darin enthaltene "th" im Altsächsischen, im Mittelniederdeutschen und Hochdeutschen dem Laut "d". Die Namen wären somit als "sverde/swerde" zu lesen.


Karte der geographischen Sprachgrenzen nach: Werner König, dtv-Atlas
zur deutschen Sprache, 1978, grob vereinf. Darstellung.


Wenn wir den Derks'schen Thesen weiter folgen, so müssen wir bereits das "u" in suerte, und somit auch das "v" in "sverte/sverthe" als "w" lesen. Sollte dies zutreffen, so könnte der Name Swerte/Swerde sowohl im Altsächsischen als auch im Althochdeutschen auf das Schwert als Waffe zurückgeführt werden. Doch ist das sehr unsicher. Daher lasse ich es bei dieser Aussage und versuche das Problem anders anzugehen.

Um die Verwirrung vollständig zu machen, will ich daher zusätzlich noch eine weitere Deutungsvariante vorstellen. Mögen meine Thesen und Schlussfolgerungen nun richtig oder falsch sein, so wären sie im letzten Falle trotzdem nicht vergebens, würden sie doch mit dazu beitragen, das Unmögliche auszuschließen.

Ausgangspunkt der Forschung muss die älteste Namensform von "Schwerte", das orthographisch dreisilbige "su-er-te" sein, wie wir es im Werdener Urbar finden. Größte Unklarheit besteht hinsichtlich der Lesart von "suerte". Da in dem Urbar der Schreiber einerseits den Vokal "u" für sich selbst, andererseits aber auch für den Halbvokal "v" setzt, können wir "suerte" auch als zweisilbiges "sver-te"" lesen, wie es 1150 erstmals urkundlich erscheint und auf dem alle weiteren Schreibweisen des Namens basieren.

Gegen die von Derks vertretene Ansicht, das "u" in suerte sei als "w" zu lesen, widerspricht das Urbar selbst. So finden wir nur eine Zeile unter dem Orts/Gebietsnamen suerte den Eigennamen Adalwigus. Hier ist das "w" als "Doppel-u" geschrieben, und später (um 1200 ?) mit einem darüber gesetzten "w" als solches kenntlich gemacht. In der darauffolgenden Zeile erscheint der Name als "Adalwigi" mit dem "w". Dagegen wird das "u" in suerte nicht durch ein darüber geschriebenes "w", sondern durch ein "v" gekennzeichnet. Von der Schreibweise her steht hierbei das Graphem "v" eindeutig für das gemeingermanische Phonem "f"5). Zumindest im Falle des Werdener Urbars trifft die sonst wohl mögliche Lesart "u=w" bei suerte nicht zu! Die Derks'sche These steht hier auf sehr schwachen Füßen.

Die Kardinalfrage muss daher lauten: Kann sich das orthographische "suerte" binnen 50 Jahren phonetisch zu"sverte" entwickelt haben?

Ich möchte dies kategorisch verneinen! Innerhalb einer solch kurzen Zeitspanne ist das nicht möglich. Wir müssen daher m.E. "suerte" als zweisilbiges "sverte" lesen!

Unstreitig bleibt jedoch, dass wir das dreisilbige "su-er-te" orthographisch und phonetisch als Stammform ansehen müssen, dessen Entwicklungsbeginn zur zweisilbigen Namensform "sver-te", vermutlich Jahrhunderte vor 970 anzusetzen ist.

Wie kann dieser Prozess abgelaufen sein?
Antwort: Da das "s" in "suerte" nicht als stimmhaftes "s", wie in "sauer, Suhle, etc.", sondern als stimmloses gemeingermanisches "š=ß" gelesen und gesprochen werden muss6), löste es eine Silbenverschmelzung von "su" und "er" aus, die durch eine zwangsläufige phonetische Abschwächung des "u" bewirkt wurde.

Aus "su-er-te" wurde so "šuër-te", wobei nach einer späteren Schreibweise zu urteilen, das "e" als kurzer Vokal "ë", wie in "Emmenthaler, essen, Erde" etc. gesprochen wurde. In letzter Konsequenz verdrängte schließlich das "v" auch lautlich das abgeschwächte "u". Schreibweise "sverte"; Lesart nun "švër-te".

Obwohl sich diese Schreibweise, auch in der Nebenform "sverthe" mit "th=d" (?) noch bis 1279 hält, wird doch ab 1200 das "v" durch das lautlich nähere "w" zunehmend verdrängt, wobei die Form "swerte" von 1346 bis 1595 absolut dominiert.

Name
Schreibweise
10. Jhdt.11. Jhdt.12. Jhdt.13. Jhdt.14. Jhdt.15. Jhdt.16. Jhdt.
Suert
ca. 970
ca. 1083/99
     
Sverte  
1150
1200
1231
1236
1243
1254
1279
   
Swirte   
1213
1255
1293
1324
1473
 
Swirthe   
1222
   
Svirthe   
1222
1249
   
Swerthene   
1225
1343
  
Sverthe   
1226
1246
   
Swerthe   
1232
1245
1246
   
Swerte   
1243
1346
1352
1362
1389
1390
1391
1396
1397

1401
1421
1424
1426
1428
1429
1431
1435
1436
1452
1463
1467
1468
1480
1493





















1507
1518
1520
1523
1531
1560
1596
Sweirte    
1351
1401
1409
1420
 
Sweyrte    
1374
1399

1418
1437
 
Swierte    
1381
1396
1397


1406


1581
Suerten     
1491
 
Sweirten      
1534
Schweirte      
1562
Schwierthe      
1567
Schwerdte      
1578
1582
1592
Schwert      
1590
Schwerte      
1592
1598
bis heute

Tabellarische Auflistung der Schreibweisen des Namens Schwerte.
Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Doch um 1200 geschieht etwas Erstaunliches. Neben den Schreibweisen "sverte" und "swerte" erscheint völlig unvermittelt die Form "swirte", die sich erstmals für 1213 belegen lässt7). Mit den Varianten "svirthe-swirthe-Swierte", bis hin zu "Schwierthe", bildet diese Form eine eigene Gruppe, die sich parallel und zeitgleich zur swerte-Gruppe stellt, wie meine Zeitebenendarstellung des Namensspektrums Schwerte vor Augen führt. Dieser Vokalwechsel vom "e" zum "i" geschieht so schlagartig und sporadisch, dass man ihn nicht mit einer Lautverschiebung erklären kann. Nein, es kann sich meiner Meinung nach nur um den Einbruch eines anderen Dialektes in die hiesige Niederdeutsche Schriftsprache handeln, der aus dem Rheinisch-Kölnischen zu uns gelangt sein muss und stark vom Althochdeutschen bzw. Mittelhochdeutschen geprägt sein dürfte.

Diese "Swirte-Gruppe" lässt Derks, mir absolut unverständlich, völlig unberücksichtigt. Frage: Warum?

Die Urkunde von 1213, mit der erst-
maligen Nennung von "swirte".


Es steht aber wohl außer Frage, dass "swerte" und "swirte" inhaltlich denselben Begriff umschreiben, dessen Bedeutung uns noch unbekannt ist. Will man jedoch seine Bedeutung erschließen, so dürfen wir uns ihm nicht nur über die altsächsisch-niederdeutsche Sprache her nähern, wie Derks es tut, sondern müssen sehr wohl auch das Althochdeutsche mit in Betracht ziehen und nach gemeinsamer Wurzel suchen.

Wie Dr. Bleicher schon in seiner Arbeit8) ausführte, lässt sich z.B. das althochdeutsche "swiron = bepfählen" auf dessen vorerst hypothetisches Substantiv "Swir = Pfahl" zurückführen, das wir auch im mittelhochdeutschen "Swîr = Uferpfahl", im angelsächsischen "Swier = Pfosten und im Neuhochdeutschen (schweiz.) "Schwieren = Pfahl" wiederfinden.

"Swirte" könnte demnach als "Ort der Pfahlsetzung" interpretiert werden, was immer es auch bedeuten mag.

Nun lässt sich aber mit einiger Wahrscheinlichkeit "Swir/Swîr/Swier", bei gleichem Sinninhalt, auf das indogermanische "suer" = Pfahl, Doppelpfosten oder langes Holzstück zurückführen9), das möglicherweise schon als einsilbiges "šuer" gesprochen wurde. Liegt es da nicht nahe, auch die Wurzel von "suerte" im Indogermanischen zu vermuten? Dies würde aber bedeuten, dass sich im Namen "suerte" uraltes, vielleicht keltisches oder vorgermanisches Namensgut erhalten hat, wie es auch bei den Flussnamen Ruhr, Röhr und Möhne vermutet wird.

Diese Variante hat schon Wilhelm Bleicher in seinem Aufsatz angedacht, aber leider nicht weiter verfolgt.

Vermutliches Entwicklungsschema von suerte zu swerte.


Eine mögliche keltische Herkunft des Namens Schwerte lehnt Derks kategorisch ab: "Von den Kelten im altwestfälischen Raum hat die Forschung indes lange Abschied genommen"10), und: "...weiß Bleicher doch selbst, dass die Gallier oder andere Kelten nicht in Westfalen gesiedelt haben."11)

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Kelten als Träger der Latènekultur zweifelsfrei feststehen und diese Kultur, in der vorrömischen Eisenzeit, durch Siedlungsreste, Gräberfelder und zahllose Einzelfunde in Westfalen nachgewiesen ist12).

Vermutliche Ableitung des niederdeutschen Swerte und mittelhochdeutschen
Swirte vom sinngleichen indogermanischen suer=Pfahl.


Wir müssen also in Westfalen in der vorrömischen Eisenzeit von einer zumindest kelto-germanischen Mischbevölkerung ausgehen, die von der keltischen Latènekultur geprägt war. Bei der keltischen Kulturdominanz in Westfalen einen keltischen Spracheinfluss auf die Bevölkerung völlig auszuschließen, ist wohl mehr als unwahrscheinlich. Wenn auch, nach dem bisherigen Erkenntnisstand, in Westfalen keine keltischen Ortsnamen überliefert sind, so kann man daraus m.E. allenfalls auf einen plötzlichen Zusammenbruch dieser Kultur, und eine nachfolgende Germanisierung schließen, in deren Folge größtenteils eine Neubenennung erfolgte.

Kommen wir nun zur These von Prof. Derks, der "suerte" vom altsächsischen-niederdeutschen "suart/swart"13) ableitet, das im Althochdeutschen übrigens "swarz" lautet. Natürlich lässt sich von "suart", das wie im Falle "Suerte" mit stimmlosem "s" und abgeschwächtem "u" gesprochen wird, der Begriff "šuërte/ šwërte" = die Schwärze ableiten, das als Adjektivabstraktum im Niederdeutschen übrigens nicht nachzuweisen ist. Doch was beweist das schon?


Zeitebenendarstellung der Schreibweisen des Namens Schwerte. Links: Die verm. niederdeutsche Swerte-Gruppe. Davon abzweigend die Regional-Plattdeutsche Sweirte-Gruppe. Dessen letzte Form "Schwäierte" (19.Jhdt.) ist hier nicht erfasst.


Es ist ein Faktum, dass Menschen aller Zeiten einem geographischen Punkt oder Gebiet Namen beilegten, durch den er oder es definiert wurde. D.h. ich kann begreifen, dass man evtl. den Raum Schwerte als den "Schwarzen Ort" oder das "Schwarze Gebiet" charakterisiert hat, was immer auch der Anlass dazu gewesen sein mag (Beisp.: schwarte Bierke/schwarzer Bach i. Holzw. Flurn. Am Schwarzenbach). Nicht begreifen kann ich jedoch, dass man ihn als definitionslose abstrakte "Schwärze" bezeichnet haben soll. Auch Derks vermag hierfür nicht ein Parallelbeispiel beizubringen.

So reduziert sich meines Erachtens auch die Derks'sche Fleißarbeit auf bloße Theorie. Sie ist und bleibt vorerst nur eine These, deren Wahrheitsgehalt sich erst noch erweisen muss.

Reinhold Stirnberg

Anmerkungen:


  1. W. Bleicher, Das älteste Schwerte - Gedanken zur Deutung des Ortsnamen. Hohenlimburger Heimatblätter, Heft 4/98.

  2. Paul Derks, Der Siedlungsname Schwerte, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds u. d. Grafschaft Mark, Bd. 90, Dortmund 1999, S. 8ff.

  3. Westf. Städteatlas, Liefer. III, Nr. 9, 1990.

  4. P. Derks, der Siedlungsname Schwerte... siehe oben.

  5. Vergl. Braune/Mitzka, Althochdeutsche Grammatik, 12. Aufl. M. Niemeyer Verl. Tübingen 1967, S. 124 § 137, S. 126 § 139.

  6. Vergl. Braune/Mitzka s.o., S. 167 § 168.

  7. Urkunde von 1213. StAKöln, Bestand St. Georg, Nr. 10.

  8. W. Bleicher, Das älteste Schwerte... S. 129.

  9. W. Bleicher, nach J. Pokorny: Indogerm.-etym. Wörterbuch, Bd. 1, Bern/München 1959, S. 1050, Nr. 3.

  10. P. Derks, Der Ortsname Dortmund, in: Beitr. z. Gesch. Dortmunds u. d. Grafschaft Mark, Bd. 78/1987, S. 176.

    Er zitiert dazu:

    Much, Waren die Germanen des Caesar und Tacitus Kelten?

    Kuhn, Vor- und frühgerm. Ortsnamen.

    Kuhn, Völker zwischen Germanen und Kelten.

    Kuhn, Die Nordgrenze der keltischen Ortsnamen.

  11. P. Derks, Der Siedlungsname Schwerte... s.o., S. 28. Derks bezieht sich hier auf Bleicher, Älteste Siedlungsräume im nördlichen Sauerland, in: Der Märker, Heimatblatt f. d. Bereich d. ehem. Grafschaft Mark, 16 (1967), S. 103/104.

  12. Eine, allerdings unvollständige Übersicht über 17 Fundkomplexe im Reg.-Bez. Arnsberg in: Die Fundmünzen d. Röm. Zeit in Deutschland, Abt. VI NRW, Bd. 5 Arnsberg, Gebr. Mann Verlag/Berlin 1972.

  13. P. Derks, Der Siedlungsname Schwerte... s.o.