Ein Rückblick auf das
internationale Jahr der Senioren 1999
Jetzt liegt es hinter uns, das, auf internationaler Ebene den Senioren
gewidmete, Jahr 1999.
In den vier AS-Ausgaben dieses Jahres hatte ich einige, mir wichtig
erscheinende, Probleme unserer älteren Generation kritisch dargestellt.
Dabei war ich bestrebt, meine Gedanken und Anregungen sachlich und objektiv
vorzutragen, was mir - angesichts der alltäglich erlebten
Ungereimtheiten im öffentlichen Leben - oft nicht leicht gefallen, doch
hoffentlich einigermaßen gelungen ist.
Angesichts der in den letzten Wochen des auslaufenden Jahres sich
anbahnenden Ereignisse, die in ihrem Ausmaß für mich seinerzeit
nicht erkennbar waren und deren Tragweite und Bedeutung auch heute noch kaum
abzusehen sind, erscheint mir eine Ergänzung meiner Berichte durch eine
Rückschau sehr angebracht. Viele Anzeichen deuten auf eine Wende im
parteipolitischen Denken und Handeln hin, die auch zu strengeren
Maßstäbe in vielen Bereichen des politischen, privaten und
wirtschaftlichen Lebens zwingt.
Es war nur ein kleiner Koffer, der mit seinem brisanten Inhalt in den
Händen eines politischen Kuriers entdeckt, unerwartet eine
mächtige Lawine von Fragen auslöste. Doch ein Ehrenwort und
großes Schweigen öffneten Verdächtigungen und Spekulationen
Tür und Tor. Anklagen und Vorwürfe wechselten mit
Gegenvorwürfen. Viele politisch motivierte und engagierte Bürger
unseres Landes sahen sich von Personen ihres Vertrauens schwer
enttäuscht. Der ohnehin in den letzten Jahren wuchernde politische
Vertrauensschwund erreichte ein erschreckendes Ausmaß und führte
an den politischen Basen zu einer Empörung in kaum erlebter
Stärke.
Diese bis heute anhaltende Entwicklung hat uns überraschend die
Augen geöffnet und gelehrt, sowohl die Politiker als auch das
politische Geschehen künftig grundsätzlich mit anderen Augen zu
betrachten. Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit erhalten eine andere
Gewichtung. Die erlebten großen Enttäuschungen sollten wir jedoch
in keinem Falle negativ werten, im Gegenteil. Sie werden heilsame Wirkungen
haben und waren eigentlich schon lange fällig.
Bedauerlich ist, dass viele Menschen dazu neigen, mit Vorliebe das
Schlechte an einem Ereignis hochzuspielen, es ständig in den
Vordergrund zu stellen und aus Sensationslust die rechte Gewichtung von Gut
und Böse zu vergessen. Sie übersehen, wie verwerflich dadurch ihr
eigenes Handeln wird, mit dem sie die einem jeden Menschen eigene Würde
oft unverantwortlich tief verletzen.
Darum sollten wir uns davor hüten, die abstoßenden Seiten des
Geschehens kritiklos im Raum stehen zu lassen, das wäre ungerecht und
schädlich für unsere Demokratie. Erfahrungsgemäß ist im
Leben nichts so negativ, als dass nicht auch Positives davon abgeleitet
werden könnte. Und gerade das ist für uns heute so dringend
notwendig.
Ich will die Gelegenheit wahrnehmen, hierzu einen kleinen Beitrag zu
leisten, in sachlicher Form, jedoch nicht mit tierischem Ernst, denn damit
kommt man im Leben ohnehin nicht sehr weit.
Vielleicht gelingt es, mit den, aus der Erfahrung eines langen, politisch
wachen Lebens gewonnenen Gedanken, die Ereignisse in ein Licht zu
rücken, das eine nüchterne und objektive Betrachtung und Wertung
ermöglicht.
Die Widmung des vergangenen Jahres ließ hoffen, dass in diesem
besonderen Jahr auch etwas Besonderes für uns alte Menschen ersonnen
und getan würde. Da es meine Gewohnheit ist, immer eine gewisse Portion
Skepsis zu wahren, versprach ich mir nicht allzu viel. Aber es geschah
unerwartet doch etwas, wenn auch politisch unbeabsichtigt. Es waren wieder
einmal die bekannten "kleinen Stolpersteine", die Schicksal spielten, uns
allen die Augen öffneten und den Weg zur Rückkehr auf den "Pfad
der Tugend" anmahnten.
Hoffentlich verstehen wir es, die Gunst der Stunde recht zu nutzen.
Blicke ich zurück, so muss ich zugeben, dass die Politiker
tatsächlich öfter unserer Generation gedacht haben, als ich
erwartet hatte - allerdings etwas anders als erhofft.
Da unsere Volksvertreter seit jeher leider ein Leben auf
größerem Fuße lieben, als die Finanzen es erlauben, blieb
es nicht aus, dass in den öffentlichen Haushalten sich Löcher
bildeten, die nicht mehr zu rechtfertigen und kaum noch zu stopfen waren.
Was lag näher, als täglich ernste Aufrufe an die Bürger zur
Sparsamkeit und Einschränkung in vielen Bereichen zu richten.
Man sagt, dass neue Besen gut kehren, doch bisher gelang kaum, die
angesammelten Missstände gründlich zu beseitigen. Aber dafür
wurden um so mehr Überlegungen angestrengt, wie man den Bürgern im
Allgemeinen und uns Älteren im Besonderen, noch etwas abzwacken könnte,
um die Defizite zu verringern.
Nun haben wir Alten ja ein fleißiges, an Sparsamkeit gewöhntes
Leben hinter uns und viele unserer Generation konnten für den letzten
Lebensabschnitt etwas beiseite legen. Was Wunder, dass die Politiker schon
seit Jahren auf die zu erwartenden Erbschaften und die daraus erwachsenden
Geldquellen für den Staat schielten. Doch da wir unerwartet zu einem
längeren Leben neigen als errechnet, wurden sie ungeduldig und
knabberten vorab schon einmal kräftig an unserem Zubrot, das wir uns
mit dem Zinsertrag schufen. Sie halbierten kurzerhand den Sparerfreibetrag,
was ich nicht gerade seniorenfreundlich finde.
Tatsache ist, dass nicht jeder von uns eine ausreichende Rente bezieht,
wozu insbesondere die Frauen zählen, denn es war früher durchaus
nicht üblich, dass Frauen arbeiteten, bezw. ein Recht auf einen
Arbeitsplatz hatten. Doch leider erinnern sich Politiker heute kaum oder
recht ungern daran. Wie anders soll ich es sonst verstehen, dass sie eine
gesetzliche Regelung schufen, nach der jeder, der seinen Lebensunterhalt
durch einen kleinen Nebenverdienst bis DM 630,- aufbessert, auch
künftig mit Steuern und Abgaben zur Sozialversicherung belegt wird.
Gewiss, man will einem entstandenen Missbrauch mit geringen Einkünften
Einhalt gebieten, doch darf man nicht verkennen, dass dadurch - besonders
für zuvor genannte Rentner - oft empfindliche soziale Härten
entstanden sind, die vermieden werden können.
Wer soziale Gerechtigkeit will, darf nicht nur alle geringen
Einkünfte der Steuer und Sozialversicherung unterwerfen, sondern muss
gleiches auch in den oberen Bereichen tun und zwar konsequent.
Auf allen Schultern getragen, wird die Last für den Einzelnen nur
halb so schwer.
Welch großer Beweis von Solidarität, wenn es in den Bereichen
der Wirtschaft und des Staates keinerlei, oder wirklich auf ein Minimum
begrenzte, abgabenfreie Bezüge gäbe und demzufolge für alle
eine wesentlich geringere Steuerbelastung ermöglicht würde.
Wenn jeder in unserem Lande so viel wie möglich verdienen darf und
soll - es sei ihm gegönnt - dann wäre es doch nicht mehr als recht
und billig, wenn er dafür auch seinen Obolus für die Allgemeinheit
voll entrichten darf und sollte.
Die Politiker hätten dann bei einer gleichberechtigten Besteuerung,
bei der alle Bezüge - einschließlich der Diäten und
sämtlicher Sonderzuwendungen - steuerpflichtig wären, eine
einmalige Gelegenheit zur echten Volksverbundenheit. Sie würden sehr
bald am eigenen Leibe die Auswirkung ihrer Gesetze verspüren und viel
schneller reagieren können. Welch echte Bürgernähe!
Jeder könnte - wenn er noch Geld übrig behält - auch so
viele Konten einrichten, wie er will, weiße, schwarze, meinetwegen
auch grüne und gelbe. Wenn zuvor zum Wohl der Allgemeinheit Steuern und
Abgaben entrichtet worden sind, sollte es auch vollkommen gleichgültig
sein, ob diese Gelder im In- oder Ausland aufbewahrt werden. Niemand
brauchte mehr voller Furcht vor Entdeckung mit schwarzen Koffern voll
schnöden Mammons durch die Welt zu streifen.
Und auf manches Ehrenwort könnte verzichtet werden.
Doch ich fürchte, dass dann gewissen Leuten leider wieder der Reiz
des Verbotenen fehlt.
Aber dieses Vergnügen kann doch niemandem auf Kosten der
Allgemeinheit zugestanden werden.
Wie wäre es, wenn die ertappten "Sünder" alle zu Unrecht
erworbenen Schwarzgelder und die dafür verhängten Strafen in die
Sozialkassen und den gefährdeten Topf der Sozialversicherung werfen
müssten? Vielen Menschen würden damit die Zukunftssorgen genommen.
Das könnte auch angebracht sein, wenn Arbeitsplätze aus reiner
Gewinnsucht wegrationalisiert werden.
Oder bei unverständlich hohen Bezügen von Verantwortlichen, die
Institutionen in den Ruin gewirtschaftet und viele Menschen um ihre
Ersparnisse betrogen haben.
Der sozialen Gerechtigkeit würde man damit doch einen großen
Schritt entgegen kommen.
Es ist nur allzu verständlich, dass die "Volksseele" kocht, wenn
jemand auf ungeraden Wegen ertappt wird, der zuvor öffentlich gelobt
hat, sich für das Wohl des Volkes einzusetzen. Seit Menschengedenken
wird Unredlichkeit bestraft, darum erwartet man auch gerade von denen, die
Gesetze beschließen, ein besonders vorbildliches Verhalten.
Wird das Gegenteil festgestellt, ist die Enttäuschung
verständlicherweise groß und mit unübersehbaren Folgen
verbunden.
Solche Vorgänge haben wir leider seit einigen Monaten in einem nie
gekannten Ausmaß erleben müssen.
Politiker verstrickten sich in Netzen, die sie selbst einmal gelegt
hatten.
Sie wurden Opfer einer besorgniserregenden eigensüchtigen
Entwicklung in unserem Lande, die seit Jahren Menschen verleitet, die
sozialen Ziele zu verlassen und sich dem reinen Eigennutz zu ergeben, ohne
Rücksicht auf ihre Mitmenschen.
Viel zu viele stellen den eigenen Profit über das Wohl der
Allgemeinheit. Die Gier nach Geld greift erschreckend um sich, ja, sie zieht
sogar viele gutwilligen Menschen in ihren Sog und trägt dazu bei, dass
die Moral sinkt und die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer
wird.
Dem kann man nicht teilnahmslos gegenüberstehen, insbesondere wir
Älteren, die wir schon manche Notzeit und Enttäuschung erfahren und
manchen Irrtum bitter bezahlen mussten, mit Zwang, Gesundheit und leider oft
noch härter.
Wir betrachten jetzt das so unerfreuliche Schauspiel auf politischer
Ebene mit sehr gemischten Gefühlen und Sorgen. Gott sei Dank haben wir
uns jedoch ein beachtlich Quäntchen Zuversicht bewahrt und wissen,
welch hohes Gut wir mit unserer demokratischen Freiheit besitzen, dass es
sich lohnt, sie zu wahren und vor Missbrauch zu schützen. Wir
dürfen uns glücklich schätzen, heute unseren berechtigten
Unmut offen zeigen und Missstände anprangern zu können, um zur
Beseitigung zu drängen. In einer Diktatur wäre so etwas nicht
möglich oder mit großer Gefahr verbunden gewesen.
Darum sollte das Geschehen - sei es noch so unerfreulich - nicht nur von
der negativen Seite betrachtet und gewertet werden. Jedes Ende einer
Entwicklung, auch wenn sie mit großer Enttäuschung verbunden ist,
trägt die Chance des Neubeginns in sich.
Der sich jetzt vollziehende politische Reinigungsprozess gibt niemandem
Grund zur Schadenfreude. Wer fühlt sich schon berufen, "den ersten
Stein zu werfen"? Muss sich manch einer nicht insgeheim eingestehen, dass er
lediglich Glück gehabt hat, bisher nicht ertappt worden zu sein?
Zu groß ist leider der Kreis geworden, der sich am allgemeinen
"Tanz um das goldene Kalb" beteiligt und damit auch der Gefahr der
Versuchung unterliegt. Würde er bei passender günstiger
Gelegenheit widerstehen? Könnte er darauf einen Eid leisten?
Bei einem schuldig gewordenen Menschen - auch in der Politik - darf man
nicht nur die negativen Feststellungen gelten lassen. Jeder hat seine Vor-
und Nachteile und jeder hat auch seine Ehre zu verlieren. Eine rechte
Bewertung aller Dinge ist immer erst aus einer gewissen Distanz
möglich, doch diese fehlt uns heute noch.
Wir müssen bemüht sein, stets beide Seiten des Geschehens zu
erkennen und zu werten. Der so unerfreulich begonnene parteipolitische
Reinigungsprozess hat die positive Kehrseite, hier unserem Volk die
Gelegenheit eines neuen Anfangs zu verschaffen, der schon lange
überfällig ist.
Die Politik erhält die einmalige Chance, wieder als ehrbares
"Handwerk" erkannt zu werden.
Wir politisch geschüttelten Deutschen könnten damit gute
Vorreiter für die europäische Völkergemeinschaft sein.
Diese Gelegenheit sollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Horst Reinhard Haake