Eine Dreikönigsgeschichte
von Ignacio Aldecoa

Omicron Rodriques hat keinen Wintermantel, keinen Regenmantel, hat nichts als einen hellen Anzug und einen Schal, grün wie eine Eidechse, den er um seinen Hals wickelt, wenn er mit seinem dünnen Anzug durch die Straßen Vallecas zittert, um sich ein paar Duros durch das Fotografieren von Touristen zu verdienen. Plötzlich fühlte er einen schmerzhaften Stich in seinem Magen, siebenundzwanzig Stunden hatte er nichts mehr gegessen, zwölfeinhalb Stunden, die Nacht nicht mitgerechnet, kein Foto gemacht. Als Schwarzer hat er hier keinen leichten Stand.

Omicron sprach andalusisch mit Klangmalerei. Er war häßlich, sehr häßlich sogar. Wenn die Sache gut ging, verdiente Omicron mit seiner Kamera genügend Geld, um sich über Wasser zu halten. Aber es gab auch schlechte Tage, Tage wie gestern, an denen er nicht einen Duro verdiente. Dreiundzwanzig Duros mußte er für sein Zimmer zahlen. Er aß in billigen Restaurants Linsengerichte und eine seltsame Kräutersuppe. Aber es gab auch Tage, an denen er sich nicht ernähren konnte.

Omicron bog um die Ecke, betrat die Plaza und schritt auf den Eingang der U-Bahn zu. Er näherte sich einem Paar, das eilig dahin schritt.

"Eine Fotografie? Darf ich eine Fotografie von Ihnen machen?" strahlten seine freundlichen Augen das Paar an.

Die Frau sah den Mann an und lächelte: "Was meinst du, Frederico?"

"Schön, wenn du willst..."

"Als Erinnerung, weißt du! Ja, machen sie ein Bild von uns."

Omicron entfernte sich einige Schritte. Beinahe wäre das Bild unscharf geworden. Der kleine Skorpion in seinem Magen meldete sich wieder. Sie gaben ihm ihre Anschrift: Hotel...

"Donnerwetter! Das hat aber gut angefangen, Schwarzer!" beglückwünschte ihn die Losverkäuferin.

"Ja! Mal sehen ob ich heute mehr Glück habe," antwortete er ruhig.

"Casilda, kannst du mir ein paar Duros leihen?" fragte er sie nach einem spannungsgeladenen Schweigen.

"Aber ja, natürlich mein Sohn. Aber auch wieder zurückgeben!" lächelte sie ihn an.

"Natürlich! Gib her! Ich lade dich zu einem Kaffee ein."

"Nein, ich lade dich zu einem Kaffee ein," gab sie als Antwort.

Gemeinsam gingen sie zur Ecke und betraten ein kleines Café. Kleine braune Küchenschaben liefen über den Marmor auf dem die Kaffeemaschine stand.

"Zwei mit Milch!"

In Omicrons Händen zitterte das hohe Glas mit einem gelblichen Löffel und viel Schaum. In kleinen Schlucken trank er es leer.

Am anderen Ende des Schanktisches lehnte ein Herr, der sie beharrlich musterte. Die Losverkäuferin merkte es und meinte gereizt:

"Hast du gesehen, wie der Typ uns da beäugt? Als wären wir Wundertiere. Du mit deiner schwarzen Haut fällst ja auf, aber so schlimm ist’s ja nun auch wieder nicht."

Casilda fing an den Herrn mit herausfordernden Augen anzustarren. Der Herr neigte den Kopf, zahlte seine Zeche, und ging auf Omicron zu.

"Entschuldigen Sie!" sprach er das seltsame Paar an, und zog eine Visitenkarte aus seiner Anzugtasche heraus.

"Ich heiße Rogelio Fernandes Estremera und bin von der Gewerkschaft beauftragt worden, für das kommende Weihnachtsfest zu organisieren. Ich hoffe," - er räusperte sich - "daß sie mich nicht falsch verstehen. Ich würde ihnen zwanzig Duros geben, wenn sie den Mohrenkönig beim Umzug der Heiligen Drei Könige darstellen würden."

"Ich?" fragte Omicron ungläubig und erstarrte augenblicklich.

"Ja, sie sind schwarz und wären der ideale Partner für uns. Sonst müssen wir einen anmalen, und wenn die Kinder kommen, um ihm die Hand zu geben, oder ihn beim Verteilen des Spielzeuges zu küssen, würden sie sich schmutzig machen. Nehmen sie an?"

Omicron reagierte immer noch nicht. Stocksteif saß er auf seinem Stuhl.

"Nimm an, Schwarzer, Schafskopf... Das sind zwanzig Fünfer! Ein Haufen Geld für dich!" raunte Casilda ihm zu und stieß ihm ihren Ellbogen in seine Rippen.

"Hier nehmen sie meine Karte. Überlegen sie es sich und geben sie mir Bescheid. Was möchten sie trinken?" Unterbrach sie der Herr von der Gewerkschaft.

"Ich einen doppelten Milchkaffee, und der da einen Einfachen und einen Anis. Das ist so seine Gewohnheit," warf Casilda schnell ein.

Der Herr zahlte die Getränke und verabschiedete sich.

Casilda verbeugte sich zu einer Abschiedsreferenz.

Als der Herr das Lokal verlassen hatte, brach sie in ein schallendes Gelächter aus.

"Wenn ich das den anderen erzähle, daß du König sein sollst, platzen sie vor lachen."

"Na, diese Geschichte mit dem König sein..." warf er immer noch träumend und ungläubig ein.

Omicron Rodriques konnte sich kaum auf dem Pferd aufrecht halten. Er schwankte hin und her. Die Beine taten ihm weh. Fast wurde ihm übel. Die Leute auf den Bürgersteigen lächelten ihn an. Viele Väter hoben ihre Kinder auf die Schultern.

"Schaut ihn euch an, dies ist unser König Balthasar!" Die Worte zweier Jungen drangen durch den Trubel an sein Ohr.

"Ob er wirklich schwarz ist? Oder nur angemalt?"

Omicron ärgerte sich bei diesen Worten. Zum erstenmal in seinem Leben wurde daran gezweifelt, ob er weiß oder schwarz war. Ausgerechnet jetzt wo er doch den einen der Heiligen drei Könige mimte.

Die Kavalkade bewegte sich vorwärts. Er fühlte, wie sich sein Turban lockerte. Als sich die Karawane der Plaza und dem Eingang der U-Bahn näherte, wandte er seinen Kopf ab. Er wollte nicht sehen und hören, wie Casilda und ihre Kolleginnen über ihn lachten und spotteten.

Casilda und ihre Kolleginnen warteten natürlich genau an diesem Ort. Als der Festzug an ihnen vorbeischritt, traten sie aus den Reihen der Zuschauer heraus, und stellten sich ihm gegenüber auf.

"Jetzt werden sie ihr spöttisches, kreischendes Lachen über mich loslassen," fürchtete er in seinen Gedanken.

"Kinder, seht doch nur! Wie schön er aussieht, als wäre er wirklich ein König!" hörte er Casilda begeistert rufen.

Ein paar Polizisten drängten die Frauengruppe auf den Gehweg zurück. Omicron warf sich auf dem Pferd in die Brust und fing an zu pfeifen.

"Balthasar, Balthasar!" winkten und riefen ihm ein paar Kinder zu.

Omicron Rodriques neigte feierlich sein Haupt und grüßte ehrwürdig zurück.