Internationales Jahr der Senioren 1999
Gedanken * Fragen * Anregungen
Teil IV: Fazit zum Ausklang des Jahres

In meinen vorausgegangenen Berichten habe ich versucht, auf einige Schwerpunktprobleme aufmerksam zu machen, die uns ältere Menschen besonders berühren: den Teufelskreis der Kosten, die persönliche Sicherheit und die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Ich könnte mit weiteren Themen fortfahren, doch erschöpfend ist dieser Bereich in dem hier zur Verfügung stehenden Rahmen nicht zu behandeln. Darum will ich versuchen, abschließend zu einer aussagefähigen Zusammenfassung zu kommen.

Unsere individuellen Belange lassen sich kaum wie ein Parteiprogramm auflisten.

Sie offenbaren sich in bestimmten Situationen, werden jedoch nicht immer sogleich als Probleme deklariert, weil ältere Menschen eher zurückhaltend sind und nicht sofort öffentlich als Anspruchsteller oder gar als Kläger dastehen möchten. Wird ein Zustand jedoch unerträglich, so dass er angeprangert werden muss, dann erwarten wir, dass Politiker auch ernsthaft darauf eingehen und sich um Abhilfe bemühen. Doch leider tut man sich da auf politischer Ebene oft sehr schwer. Jugend, Sport, Verkehr und andere Bereiche haben für ein persönliches Engagement meistens Vorrang. Wer die Schlagworte der Parteien und ihrer Redner im letzten Wahlkampf kritisch verfolgte, konnte kaum einen Politiker entdecken, der die Seniorenpolitik zu seinen Schwerpunktaufgaben zählt. Dabei sind doch nicht wenige von ihnen durchaus der älteren Generation zuzurechnen oder stehen dieser nicht mehr allzu fern, wenn man einmal die Altersgrenze zugrunde legt, von der an Arbeitswillige nicht mehr für einen Arbeitsplatz zu vermitteln sind, weil sie als zu alt und zu teuer bewertet werden.

Es wäre zu begrüßen, wenn unsere Volksvertreter mehr Mut und Bekenntnis zum eigenen Alter und ein entsprechendes Engagement hierfür zeigen würden.

Meines Erachtens wird viel zu viel geredet und geschrieben über zu hohe Kosten, die durch die ältere Generation erwachsen. Dabei wird versäumt, die positiven Fakten und guten Einflüsse, die von der älteren Generation ausgehen, gebührend zu würdigen. Mit dieser Einseitigkeit erhält die Negativseite im Bereich der Altenpolitik ein viel zu großes Gewicht.

Es darf nicht übersehen werden, dass die wachsende Zahl älterer Menschen, ihre zum Teil guten Einkommensverhältnisse, ihre Vitalität und Aktivität einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor bilden, der eine steigende Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen hervorruft und damit neue Arbeitsplätze schafft. Das geht aus einer neuen Studie hervor, von einer Projektgruppe an der Universität des dritten Lebensalters der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. (siehe dazu AS-Nr. 45: „Wachstumsmotor Alter(n)“

Es dürfte auch allgemein bekannt sein, dass nur ein sehr geringer Anteil der Seniorinnen und Senioren in Altenheimen, Pflegestationen etc. wohnen und betreut werden muss, weil sie selbst oder ihre Familien dazu nicht mehr in der Lage sind. Die meisten älteren Menschen leben daheim in ihrer gewohnten Umgebung, möchten dort auch möglichst lange bleiben und niemandem zur Last fallen. Ja, sie möchten sich, soweit es ihre Kräfte erlauben, noch nützlich machen. Und sie tun es in vielen Fällen innerhalb und außerhalb der Familie mit einer oft bewundernswerten Hingabe.

Viele engagieren sich auch in den unterschiedlichsten Organisationen als ehrenamtliche Helfer, von denen besonders im sozialen Bereich gar nicht genug vorhanden sein können. Sehr oft stehen sie dort bis ins hohe Alter immer wieder zur Verfügung, weil bedauerlicherweise durch jüngere Menschen sich erschreckend wenig Nachfolge anbietet. So helfen hier die Alten den Jungen, so weit es ihre Kräfte erlauben, einen großen Mangel an selbstloser Hilfeleistung zu mildern. Es muß hier einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass es ohne ehrenamtliches Engagement in unserer Gesellschaft sehr traurig aussähe. Möge doch die nachfolgende Generation davor nicht die Augen verschließen und mehr Einsatzbereitschaft zeigen - auch im eigenen Interesse.

Sollte alle ehrenamtliche Hilfe einmal finanziell abgegolten werden müssen, so käme man sehr bald zu der Feststellung, dass sie unbezahlbar ist. Müsste diese Tatsache bei den Verantwortlichen in Politik und Verwaltungen nicht viel mehr Beachtung und Würdigung finden? Es darf doch nicht sein, dass eines Tages der allgemeine Eindruck entsteht, man sähe hier nur ein sehr willkommenes Potential billiger Arbeitskräfte. Aber wie anders soll die Allgemeinheit es verstehen, wenn im Zuge notwendiger Sparmaßnahmen unsere Politiker immer wieder die Kürzung von Haushaltsmitteln - insbesondere im sozialen Bereich - als unumgänglich bezeichnen, jedoch gleichzeitig die persönlichen Budgets rechtfertigen oder gar aufstocken. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Helfer und Spender sich eines Tages fragen, wem ihr Engagement in Wirklichkeit Nutzen bringt. Würden sie dann unerwartete Konsequenzen ziehen, wären die Leidtragenden wieder einmal unter den Hilfsbedürftigen zu suchen. So weit darf man es doch nicht kommen lassen!

Das ist hier nicht ketzerisch gemeint, sondern eine ganz nüchterne Feststellung und eindringliche Mahnung.

Es ist auch kaum zu verstehen, dass unsere gewählten Volksvertreter und ebenso die Verwaltungen, wenn sie schon ihren chronischen Geldmangel eingestehen, sich nicht einmal etwas Außergewöhnliches einfallen lassen, um mehr Menschen für ehrenamtliche Hilfeleistung - insbesondere im sozialen Bereich - zu motivieren.

Wie wäre es, wenn man beispielsweise den Helfern grundsätzlich kleine Privilegien einräumen würde? Die willkommenen Einsätze von Sozialorganisationen, die ältere oder behinderte Menschen aufsuchen, sie betreuen und damit ihren Verbleib in gewohnter Umgebung ermöglichen, würden z.B. mit einer Parkerleichterung wesentlich problemloser verlaufen. Die Helfer würden dann endlich von den unverständlichen Bestrafungen durch oft recht teuren "Knöllchen" verschont bleiben, die bisher ihre Einsatzfreude dämpften. Viel wichtiger für sie ist jedoch das Gefühl der Würdigung ihres selbstlosen Einsatzes, was mehr wiegt als alle schönen Worte hierüber. Ich freue mich, hier auf lobenswerte Ansätze solcher Maßnahmen in unserer Stadt hinweisen und sie zur Nachahmung empfehlen zu können.

Eine Würdigung ehrenamtlicher Einsätze könnte auch darin bestehen, besonders engagierten Menschen Vergünstigungen im kulturellen und sportlichen Bereich zu geben, wie beispielsweise Freikarten zu besonderen Anlässen. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Jede Stadt wird da ihre eigenen Möglichkeiten suchen und auch finden, mit denen sie mehr Menschen zu ehrenamtlicher Tätigkeit motivieren und damit hilfsbedürftigen Bürgern helfen kann.

Die meisten älteren Menschen sind von Jugend an Sparsamkeit gewöhnt und können den in unserem Staate üblichen Umgang mit dem Geld - insbesondere mit den Steuergeldern - nicht verstehen. Alljährlich veröffentlicht der Bund der Steuerzahler ein "Schwarzbuch", in dem auf eine öffentliche Verschwendung von Steuergeldern in Höhe vieler Milliarden hingewiesen wird. Würde gegen diesen unverantwortlichen Umgang mit anvertrauten Geldern energischer vorgegangen, wären Einsparungen in manchen Bereichen der öffentlichen Haushalte in dem jetzt praktizierten Ausmaß nicht erforderlich und man brauchte sich heute auch keine Sorgen um die Altersrenten zu machen.

Hier wünschten wir uns mehr Politiker mit der notwendigen Zivilcourage!

Planungen im städtebaulichen Bereich sollten verstärkt der Erkenntnis folgen, dass die meisten älteren Menschen nicht abgegrenzt, sondern in ihrem gewohnten Umfeld, oder gar in der Nähe ihres Familien- Freundes- und Bekanntenkreises leben möchten. Sie sind heute gegenüber früheren Zeiten meistens in der glücklichen Lage, länger selbst für sich sorgen zu können. Ihre Aktionen und Reaktionen werden zwar langsamer, gewisse Beschwerden und Behinderungen treten auf und ihre Einstellung gegenüber der Umgebung unterliegt naturgemäß einem gewissen Wandel, aber sie fallen niemandem zur Last. Den jetzt noch jüngeren Menschen wird es einmal ebenso ergehen, darum ist das gegenseitige Verstehen so wichtig. Es erhält eine immer größere Bedeutung und sollte von beiden Seiten intensiver als bisher gepflegt werden.

Wir müssen wieder zurückfinden zum Gefühl der Gemeinschaft, egoistische Gedanken zurückdrängen und zur Erkenntnis gelangen, aufeinander angewiesen zu sein.

Eine wichtiger Beitrag dazu könnte von den Schulen kommen.

Es wäre zu begrüßen, wenn den Schülern neben der Vermittlung von Grundwissen etwas nachhaltiger auch die Werte guter Umgangsformen auf den Weg gegeben würden. Das dürfte in den meisten Elternhäusern durchaus Unterstützung finden und den jungen Menschen im Verlauf ihres Lebens sehr dienlich sein. Die Pflege gegenseitiger Rücksichtnahme und gute Umgangsformen sind wesentliche Faktoren für ein gedeihliches Zusammenleben. Leider sind diese Eigenschaften in unserer modernen und vom Profitstreben geprägten Gesellschaft im Verlauf der letzten Jahrzehnte sehr vernachlässigt worden. Doch ohne sie verliert das Leben seinen wahren Sinn. Was nützen alle Geld- und Sachwerte, wenn die ethischen und moralischen Werte schwinden.

Erstaunlich wenige Menschen nehmen wahr, welchen Umfang die verschämt versteckte Altersarmut in unserer Wohlstandsgesellschaft eingenommen hat. Besonders hart trifft es diejenigen, die in diesem letzten Lebensabschnitt auch noch in große Einsamkeit verfallen, weil um sie herum jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist. Man möchte dem entgegenwirken und wünscht sich dafür viele Mitstreiter. Wie wohltuend wirkt da jede hilfreich dargebotene Hand und sei sie noch so gering gefüllt. Und wie reich ist man beschenkt, wenn man auf wahre Freunde trifft, die auf gute Worte auch Taten folgen lassen.

Doch leider mangelt es heute an solchen Menschen. Ihre Zahl ist im Vergleich zur vorhandenen und sich ausbreitenden Not und Armut viel zu gering. Wenn sich hier etwas ändern soll, dann muss sich in den Herzen aller ein gravierender Wandel vollziehen. Doch der kann nur erfolgen, wenn es auch im öffentlichen Leben, in Schule und Elternhaus, dafür die notwendigen Vorbilder gibt.

Wie schon gesagt, möchten viele ältere Menschen mit den ihnen verbliebenen Kräften selbst Einfluss nehmen auf die ihre Generation betreffenden Angelegenheiten. Diesem Wunsch könnte ein frei gewählter Seniorenrat mit Stimmrecht und bestimmten Kompetenzen sehr wohl entsprechen. Einen Seniorenbeirat als Anhängsel des Sozialausschusses und von den Parteien zusammengestellt, ist nach meinen Erfahrungen denkbar ungeeignet. Denn dieser läuft Gefahr, letztendlich doch wieder von den jeweils stärksten Parteiinteressen geleitet und geprägt zu werden. Aber dann kann er kaum die parteiübergreifenden Interessen der Senioren mit genügendem Nachdruck wahrnehmen.

Ein sehr gutes Beispiel für eine gedeihliche Entwicklung von Aufgaben, die den Senioren eigenverantwortlich übertragen worden sind, findet man hier in unserer Seniorenzeitung "AS". Trotz anfänglicher Bedenken von Seiten der Verwaltung haben wir bewiesen, wozu ältere Menschen fähig sind, wenn ihnen freie Hand gewährt wird. Wir vollenden mit dieser Ausgabe inzwischen den zwölften Jahrgang und dürfen feststellen, daß unsere "AS" weit über die Stadtgrenzen hinaus gerne gelesen und von vielen auch gesammelt wird. Eingespeist ins Internet erfährt sie sogar eine weltweite Verbreitung, die durch eine Initiative der Schwerter Stadtwerke und unsere Zusammenarbeit mit Schülern der Eintrachthauptschule und Realschule am Bohlgarten möglich geworden ist. Mit diesen Schülern starteten wir sogar Ende Oktober dieses Jahres einen Kursus für ältere Menschen zur Einführung in Computer-Kenntnisse und Nutzung des Internet, der sehr gut angenommen worden ist. Darin erkenne ich einen wertvollen Beitrag zur erfolgreichen Zusammenarbeit von Jung und Alt.

Wir erwarten von Rat und Verwaltung, dass sie dieses von Senioren geschaffene Instrument, unsere "AS" als Brücke zwischen den Generationen, weiterhin stützen und nicht der Rationalisierung zum Opfer fallen lassen.

Würde wenigstens ein Teil der hier vorgetragenen Hinweise und Vorstellungen bei den Verantwortlichen auf fruchtbaren Boden fallen, dürfte das die Situation nicht nur der Seniorengeneration in unserem Lande erheblich verbessern. Und das wäre ein gutes Vorbild für die künftige Europäische Völkergemeinschaft.
Horst Reinhard Haake