von Wilma Frohne


Opas vier verheiratete Kinder und deren Nachwuchs wohnten in einem Haus. Großfamilie!

Da mein Großvater in unserm Haushalt lebte, war es selbstverständlich, daß alle seine Kinder und Enkelkinder zu uns kamen, um an dem Festtag bei ihm zu sein.

Die Zeit bis zur Bescherung verbrachten wir Kinder in Opas Zimmer. Opa spielte, wie an vielen anderen Tagen, auch dann mit uns. Doch wir fanden alle Spiele langweilig, waren viel zu viel abgelenkt mit horchen. Denn sobald das Christkind in einer Wohnung fertig war, läutete es das Weihnachtsglöckchen. Wir wußten genau, in welcher Wohnung es geklingelt hatte und die so gerufenen Kinder verschwanden aus Opas Zimmer. Zuletzt saßen nur immer noch Opa und ich zusammen. Dann erzählte er mir die Weihnachtsgeschichte. Opa konnte prima erzählen und ich hörte ihm auch sonst gern zu.

Endlich, es kam mir vor wie eine Ewigkeit, klingelte auch unser Weihnachtsglöckchen und bei dem Lied "Stille Nacht, Heilige Nacht" öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer und der Lichterbaum strahlte mir entgegen. Zu den Geschenken durfte ich jedoch erst, nachdem alle drei Strophen des Liedes gesungen waren. Ich sang nicht besonders andächtig.

Es gab damals nicht soviel auszupacken, aber die Aufregung war bestimmt genauso groß wie heute.

Nach dem Festessen warteten meine Eltern, Opa und ich auf die anderen Familienmitglieder. Sie trafen auch bald ein, denn sie wollten auch bei ihrem Vater bzw. Großvater sein. Die Erwachsenen brachten Stühle mit, da sie ja wußten, daß unsere für alle nicht reichten. Die Kinder hatten ihre Geschenke dabei und führten stolz ihre neuen Schätze vor. Zuerst war auch alles friedlich, aber Kinder tauschen gern, wollen manchmal das "fremde" Spielzeug unbedingt haben. Trotz des weihnachtlichen guten Willens wurde die Stimmung dadurch gereizt.

Opa kannte uns gut, rief meistens mich zu sich, legte den Arm um meine Schulter und fing an zu singen. Ich drückte dann meine Puppe in ihrem neuen Kleid fest an mich und half ihm. Die anderen Kinder kamen nach und nach zu uns, sangen ebenfalls. Onkel Heini holte seine Mundharmonika und Vetter Willi begleitete ihn auf einem Kamm mit Silberpapier. Zuerst hörten die Erwachsenen zu, doch dann sangen sie auch.

Mein Vater dirigierte. Er wünschte, daß sich Alt und Sopran auf die rechte Seite und Baß und Tenor auf die linke Seite setzten und bereitwillig tauschten alle die Plätze.

Wie in jedem Jahr begann auch diesmal das Chorkonzert mit "Oh Tannenbaum". Danach kam vom Himmel hoch der Engel geschwebt und noch etwas später rieselte leise der Schnee in unserem Wohnzimmer. Es ging uns gut. Auch Tante Meta, obwohl sie nicht mit sang, sondern immer nur redete, gegen unseren Gesang anredete. Eigenartigerweise hörte ihr trotz des Singens immer jemand zu, lächelte sie an oder nickte zustimmend. Hätte sie niemand beachtet, wäre sie bestimmt gegangen und die beiden Cousinen und der Onkel mit ihr und das wollten alle nicht. Also nahmen wir die immer laut und gegen unser Singen anredende Tante in Kauf und ich hoffte jedesmal, daß sie Halsschmerzen von ihrem Geschrei bekäme.

Wenn unser Repertoire an Weihnachtsliedern erschöpft war, sangen wir Wanderlieder. Feierlich war es jetzt nicht mehr, aber gemütlich.

Tannennadeln, die ab und zu in die Kerzenflammen geworfen wurden, sorgten für Knistern, Flackern und den kräftigen würzigen Duft.

Die Krippenfiguren schienen sich auch nach wie vor unter unserem Tannenbaum wohl zu fühlen.

Als die große Standuhr die halbe Stunde vor Mitternacht anzeigte, leerte sich unser Weihnachtszimmer im Nu. Kurze Zeit später trafen wir uns alle, eingemummelt gegen die Kälte, draußen vor der Haustür und gingen zusammen zur Christmette.