Der Verschiebebahnhof Geisecke

Station ´´Geisecke (Ruhr)´´ Durch den fortschreitenden Streckenausbau der KPEV und der damit verbundenen Vernetzung der Städte zwischen dem Rheinland und dem Ruhrgebiet, auch durch die Ruhrtalbahn bis hinein nach Mitteldeutschland, wurden immer mehr Verschiebebahnhöfe und Bahnbetriebswerke notwendig.

Der Bau eines Verschiebebahnhofes in Geisecke 1912 zwang zur Erweiterung des Gleiskörpers und zur Höherlegung der Strecke zwischen Schwerte und Geisecke.

Eine wichtige Verbindung auf Schwerter Gebiet stellte die Abzweigung Block Heide zur Arnsberger Strecke hin, einfahrend an der Blockstelle Grüntal, dar. Auf diese Weise wurde der Güterbahnhof in Schwerte entlastet und das Kopfmachen bzw. umkuppeln der Lokomotiven entfiel. Diese Strecke, die lediglich dem Güterverkehr diente, wurde am 10.01.1913 feierlich dem Eisenbahnverkehr übergeben.

Am 27. Februar 1913 waren bereits das dritte und vierte Gleis, vom Verschiebebahnhof aus in Richtung Schwerte, verlegt und dem Verkehr übergeben worden. Der Verschiebebahnhof sollte zu einem der größten Rangierbahnhöfe des Ruhrgebiets (damals so geplant!) mit 36 Gleispaaren ausgebaut werden.

Aufgrund der Größe und der Bedeutung dieses Bahnhofes wurde die Bahnmeisterei Geisecke zum 1. Juli 1913 in den Stand der Bahnmeisterei - Erster Klasse - erhoben. Diese umfaßte den gesamten Streckenabschnitt ab der Blockstelle Grüntal (bei Schwerte) bis hin zum Bahnhof Langschede.

In dieser Zeit wurde auch bekannt, daß die Planung der Eisenbahnverwaltung in ein neues Stadium getreten sei. Die Nordseite des Bahngeländes wurde um weitere 100 Meter in Richtung der Landstraße nach Langschede erweitert. Somit sollte sich die Anzahl der Gleispaare von 36 auf 42 erhöhen. Mit dem Erwerb des mehrere Morgen großen Landstückes sollte schon in nächster Zeit begonnen werden.

In diesem Landkomplex lag die aus Haus, Hof und Stall bestehende Besitzung des Bahnwärters Nolte. Dieses Grundstück war bahnseitig bereits für 23.000 Mark angekauft, so daß dieser sein Haus zum 10. Juli 1913 räumen mußte. Die neuen Rohrleitungen der Dortmunder Wasserwerke zogen sich bereits unter dem sich nach Norden erstreckenden 300 Meter breiten Gebietsstreifen zur Pumpstation nach Hengsen hinauf.

Zeitweise waren 400 Arbeiter nur damit beschäftigt, Gleise zu verlegen oder die Rodung und Sprengung des angrenzenden Waldes vorzunehmen. Auch war eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Arbeitern täglich nur damit beschäftigt, Schwellen- und Schienenmaterial von Waggons abzuladen und zu stapeln. Der bereits bis zum 28. Mai 1913 erstellte mittlere Teil, der von der Firma Jittich aus Schwerte erbauten Straßenunterführung, mußte nun aufgrund der neuen Planung noch einmal verbreitert werden. Hierzu mußten von der bereits fertiggestellten Brücke 7,5 m seitliches Mauerwerk abgetragen werden.

1908, Schnellzuglokomotive der Baureihe S 3/6 Mit dem 15. September 1913 wurde der Rangierbahnhof in Geisecke endgültig mit 16 Gleispaaren in Betrieb genommen. Zwischen dem 15. und dem 30. September rangierte das Bahnpersonal hier täglich 1.500 Waggons. Ab dem 1. Oktober wurden noch einmal 4 Gleispaare freigegeben, womit sich die Zahl der Eisenbahnwaggons täglich auf 2.000 Stück erhöhte. Zu diesem Zeitpunkt waren 140 Beamte in Geisecke stationiert. Am Tag der feierlichen Übergabe schrieb die Schwerter Zeitung, daß Geisecke sich nun rühmen könnte, den größten und modernsten Verschiebebahnhof des westlichen Industriebezirkes im Besitz zu haben. Mit der dörflichen Stille, Ruhe und Gelassenheit sei es aber nun endgültig vorbei. Für Geisecke bedeutete der Verschiebebahnhof einen tiefen Einschnitt in das Dorfleben. Aus der einst so kleinen Haltestelle war nun ein bedeutender Rangierbahnhof geworden.

Am 1. Oktober wurde auch das zweite Gleis der Strecke Block Heide bis hin zur Blockstelle Grüntal dem Güterverkehr übergeben.

Zum 1. Juli 1915 wurde der Bahnhofsvorsteher Ansorge, welcher den Verschiebebahnhof Geisecke seinerzeit eingerichtet und am 15. September 1913 in Betrieb genommen hatte, nach Haspe versetzt. Sein Nachfolger wurde der Bahnhofsvorsteher Schlaud, der gleichzeitig aus diesem Grund auch zum Oberbahnhofsvorsteher ernannt wurde.

Als letzte Rate für die enorme bauliche Anlage des Verschiebebahnhofs wurden im laufenden Haushaltsjahr von der Eisenbahnverwaltung am 14.01.1916 noch einmal 47.000 Mark gefordert. Mit diesem Betrag wurde der Verschiebebahnhof von bis dahin 36 auf 42 Gleispaare ausgebaut. Die gesamte Anlage erstreckte sich nun ab dem 14.07.1916 über 2,8 km Länge und eine Breite von über 300 m in nördlicher Richtung.

Im Zeichen der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde der Güterbahnhof von der Reichsbahn geschlossen. Nur die Wagenwaschanlage, unweit des Wasserturmes, wurde für Güterwagen in Betrieb gehalten.

Aus den Kriegsjahren 1939 - 1945

Im Hinblick auf den II. Weltkrieg wurde der alte verwilderte Rangierbahnhof im Dezember 1938 und Januar 1939 wieder in Betrieb genommen. Bauzüge mit ihren Trupps rückten an, und versetzten das gesamte Gelände wieder in einen gebrauchsfähigen Zustand. Der Rangierbahnhof wurde noch einmal zu einem der größten Verschiebebahnhöfe der damaligen Deutschen Reichsbahn.

Bereits im Juni 1939 konnten die ersten Güter- und Transportzüge aus dem Ruhrgebiet in Geisecke aufgelöst und in neuen Formationen in Richtung Osten nach Kassel, Leipzig und Dresden neu zusammengestellt werden.

Nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurde zügig mit dem Ausbau in Ost- Westrichtung begonnen. So konnte auch 1940 die zweite Hälfte des Rangierbahnhofes in Betrieb genommen werden.

Im Frühjahr 1940 wurden durch einen Bombenangriff die Eisenbahnbrücke, die Einfahrgruppe sowie die Personenzuggleise zerstört. Personenschäden waren an diesem Tag nicht zu verzeichnen.

Aus den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1945 sind sehr gute Aufzeichnungen zu diesem Thema aus dem Kriegstagebuch des Herrn Norbert Kaufhold, Schichtmeister zu Schwerte, zu entnehmen. Die Hauptangriffe der alliierten britischen und amerikanischen Flieger- und Bomberstaffeln auf die Bahnanlagen in Geisecke erfolgten in der Hauptsache nach seinen Kenntnissen und Aufzeichnungen in den letzten Kriegsjahren 1944 und 1945.

Am letzten Dezembertag 1944 verstarb der Lokführer Brinkmann aus der Wittekindstraße an seinen Verletzungen infolge eines Luftangriffs auf den Verschiebebahnhof. Sechs Wochen später, am 13. Febr. 1945, beschossen Tiefflieger eine Lok auf der Fahrt von Geisecke nach Schwerte. Desweiteren fielen bei einer Attacke gegen 18.00 Uhr am 22. Febr. 1945 im Bahnhof Geisecke mehrere Bomben. Über Schäden ist in diesem Zusammenhang nichts überliefert.

In Geisecke standen seit dem 10. März 1945 Transportzüge mit Soldaten nach Westen. Offiziere waren überhaupt nicht vorhanden. Niemand besaß irgend eine Waffe. Für fünf Mann ein Brot. (Viele Familien gaben was sie konnten!) Hierzu ist zu sagen, daß Herr Kaufhold in jenen Jahren mit seinen Äußerungen und seinem Tagebuch sehr vorsichtig agieren mußte (der Autor). Dieser Abschnitt kann auch als Schlüssel des nachfolgenden Absatzes gewertet werden.

Ebenso standen hier nach (heutigen) Zeugenaussagen lange Güterzüge mit KZ-Häftlingen in der Sommerhitze. Heimlich und in der Dunkelheit brachten Geisecker Bürger ihr bißchen Brot was sie noch erübrigen konnten an diese Wagen. Immer unter Gefahr selbst für diese Tat von SS-Wachmannschaften festgenommen und mit zwei Jahren Zuchthaus bestraft zu werden.

Ein weiterer Angriff durch Jabos, aus Richtung des RAW Schwerte-Ost kommend, auf Geisecke, erfolgte am 14. März 1945. Aus Bordwaffen wurde heftig geschossen. Es wurde vereinzelt von fallenden Bomben an diesem Tag gesprochen.

Herr R. Blank (Hohenlimburger Heimatblätter) ergänzt zu diesem Tag folgenden Bericht:

24 Jagdmaschinen des Typs Thunderbold führten zwischen 11.48 Uhr und 11.51 Uhr im Tiefflug einen Angriff mit Bordwaffen und 72 Spreng- und Splitterbomben auf den Verschiebebahnhof aus. Nach Abschluß waren im Bahnhofsbereich 120 Güterwagen beschädigt, davon 30 ausgebrannt. Zwei Todesopfer waren an diesem Tag zu beklagen. Um 18.30 Uhr fand ein neuerlicher Angriff auf Geisecke statt. Drei Jabos brachten einen Benzintankwagen zur Explosion.

In zwei Großangriffen am 20. und 23. März 1945 wurden große Teile der Geisecker Ortschaft und der gesamte Güterbahnhof durch massive Angriffe mit B-20 Mittelstreckenbombern zerstört.

Das Stauwerk und die Siedlung wurden am 20. März 1945 angegriffen und getroffen. Bombenteppiche waren entlang der Strecke und im Bahnhofsgelände niedergegangen. Der Bombenhagel erstreckte sich von Geisecke bis hin nach Lichtendorf zum Kellerkopf.

Der schwerste Angriff (R. Blank) erfolgte am 23. März 1945 mit 137 B-17 Bombern der 3. US-Luftdivision, von denen 19 Flugzeuge mit 240 Tonnen Spreng- und Brandbomben ausgerüstet waren. In kleineren Gruppen wurden vorher bestimmte Ziele auf dem Bahngelände angegriffen. So wurde von der 385 Bombergruppe erwartet, daß sie mit 1.000 Pfund Bomben die Drehscheibe zerstörte.

An diesem Tag haben etwa 5.000 Wagen im Bahnhof gestanden. 3.000 bis 4.000 Wagen wurden durch den Angriff zerstört. Allerdings wurde von den Wohnhäusern, welche in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof standen, kaum etwas getroffen. Die Bevölkerung flüchtete in die Ruhrwiesen. Einige Flugzeuge verfolgten die Flüchtenden und beschossen sie mit Maschinengewehren.

(N. Kaufhold) Starke Rauchwolken sah man am 23. März 1945 um 14.05 Uhr in Geisecke aufsteigen. Geisecke und Holzwickede waren getroffen. Von der Wirtschaft Eichmann ab (Schützenstraße, heute For You), brannte alles.

Am 25. März 1945 waren gegen 17.45 Uhr Tiefflieger aus dem östlichen Stadtgebiet gemeldet worden. Es fielen Bomben und aus Bordwaffen wurde geschossen. Aus den Ruhrwiesen konnte beobachtet werden, wie zwei Feuersäulen über Geisecke aufstiegen.

Zwei Eisenbahnwagen wurden am 26. März 1945 um 6.59 Uhr bei Geisecke in Brand geschossen. Nach Zeugenaussagen brannten sie noch am Abend in heller Glut.

Im Bahnhofsgelände (W. Stoffel) überstand lediglich das im Krieg erbaute Verwaltungsgebäude den Bombenangriff ohne größere Schäden. Über 3.500 Güterwagen wurden bei diesem Angriff vernichtet.

Die ersten vorrückenden amerikanischen Truppen besetzten die Ortschaft mit ihren Stationsgebäude am 11. April 1945.

Auch heute noch, 54 Jahre nach diesem Feuerangriff, lassen sich die tiefen Wunden des flammenden Infernos als Bombenkrater erkennen. Die Angst der dort lebenden und arbeitenden Menschen lassen sich von unserer Generation heute nicht einmal erahnen.

Kommentar und Vermutungen

Die Brücke am östlichen Ende des Güterbahnhofes liegt bei km 162,8. Aus Richtung Geisecke kommend ist die Auffahrt der Brückenrampe parallel zu den Gleisen nach Arnsberg soweit entfernt, daß hier noch Platz für zwei Gleispaare vorhanden war. Außerdem ist die Breite der Brücke an dieser Stelle für drei Gleise ausgebaut, so daß vermutet werden kann, daß ab hier aus Richtung Langschede kommend, die erste Weiche auf das Bahngelände abgeleitet wurde. Auch heute noch zeigen an dieser Stelle Erdformationen einen abweichenden Kurvengrad, der zu dieser Vermutung durchaus Berechtigung zeigt.

Von dem Stellwerk am östlichen Ausgang bei km 162,8 sind bis heute keine erkennbaren Spuren mehr gefunden worden. Zieht man das ehemalige Stellwerk mit ein, war hier das absolute Ende des Rangierbahnhofes zu finden.

Weiter westlich gesehen, in Fahrtrichtung Schwerte, zwischen km 161,6 und 161,7 sind heute noch die Reste eines Ablaufberges mit Mauerresten eines umgestürzten Gebäudes im Geisecker Bahnwald zu erkennen. Eine zweite Ablauframpe befand sich inmitten des Geländes parallel zu km 161,8 in Fahrtrichtung Langschede.

Der dritte Ablaufberg lag gegenüber der Wagenwäscherei direkt hinter dem mittleren Brückenteil. Sofort anschließend ist hier auch heute noch eine alte Entschlackungs- oder Montagegrube zu finden. Der Wasserturm des Betriebswerkes lag ca. 150 m hinter der alten Waschanlage.

In Höhe der Gaststätte Eichmann (For You) befand sich noch einmal eine Signalbrücke (159,0). In diesem Bereich sollte das AW-Schwerte-Ost mit dem BW-Geisecke durch einen gesonderten Gleisanschluß über die Schützenstraße hinweg verbunden werden.

Von der einst viergleisigen Strecke liegt heute noch das dritte Zufahrtsgleis bis zum Bahnhof Schwerte-Ost und der einstigen Blockstelle Grüntal. Diese lag auf dem heutigen Gelände der evgl. Kirche - Paul-Gerhardt-Haus - nahe der Unterführung Ostberger Straße. Ein zweites Stellwerk lag bis ca. 1965 etwa bei km 157,6. Teile einer alten Signalbrücke sind heute an dieser Stelle noch erkennbar; Lage gegenüber der Guten Hoffnungshütte (heute Rathaus II).


Quellennachweis:

W. Stoffel: "Wir und die Schützen", sowie mit freundlicher Unterstützung der Stadtbücherei und des Stadtarchivs Schwerte