Erinnerungen
          an einen Berlinurlaub
von Wilma Frohne

Siegessäule
Früh, aber pünktlich, begann die Fahrt. Nachdem sich meine Aufregung gelegt hatte, kuschelte ich mich in den Sitz und hörte den hellwachen Sängerinnen und Sängern im Radio zu. Nach dem ersten Zwischenstop war es jedoch mit der Ruhe im Bus vorbei. Kaffee und frische Luft hatten alle Lebensgeister geweckt. Es wurde geredet, gespielt, gesungen und gelacht und ehe ich mich versah, erreichten wir Berlin.
Bei der Fahrt über die "Prachtstraße" zum Engel mit dem Blattgoldkleid auf der Siegessäule Lautsprecheranfrage:
"Weiß einer, wie die Straße heißt?" Nur Gemurmel.
Nach einigem Gekurve, begleitet vom Kommentar zu den Bauaktivitäten und deren Folgen, Halt vorm Hotel Antares:
"So! Meine Lieben. Alle aussteigen, Koffer in Empfang nehmen und um halb sieben fahren wir zu Donizettis Lucia di Lammermoor. Vorher ist um halb sechs Abendessen hier unten im Vivaldi". - Gewusel.

Lucias Schicksal entschied sich am 30. April. An dem Tag tanzen Berliner nicht in den Mai, sondern stehen im Stau wegen Sperrung der Hauptstraßen für die Maikundgebung. Daher dauerte unsere Fahrt zur Deutschen Oper heute 3/4 Stunde und die Intrigen gegen Lucia hatten schon begonnen, als wir ankamen. Wir wären trotzdem gern, selbstverständlich leise, durch die für uns vorgesehene Tür geschlüpft, aber ein richtiger Mohr, noch dazu im schwarzen Anzug, verstellte uns höflich aber bestimmt den Weg. Erst nach der Ouvertüre gewährte er Einlaß und ließ uns am Kummer "seiner" Lucia teilnehmen.
Auf der Rückfahrt zum Hotel - Berlin im Lichterglanz.
Vorm Hotel zur Erinnerung noch Programmdurchsage für den nächsten Tag:
"Morgen Vormittag Stadtrundfahrt mit Besichtigung der Gedächtniskirche und abends Staatsoper." Stimmengewirr und Fragen:
"Auch KaDeWe!?"
"Und Kranzler!"
"Ja, ja, auch für KaDeWe und Kranzler ist noch Zeit."
Zu Mozarts Zauberflöte fuhren wir sicherheitshalber früh los. Fast hätte Papageno uns trotzdem nicht alle Flötentöne vorgespielt, denn er hatte seinen achtzehn Vogelkindern versprochen, daß sie an diesem Tag eine halbe Stunde früher ins Bett dürften. Wir ahnten natürlich nichts von dieser "privaten" Abmachung und betrachteten in der vermuteten freien halben Stunde bis zum Vorstellungsbeginn Schaukästen statt schon reinzugehen. Daher schickte Papageno seine rotbejackten Helfer nach draußen und ließ uns bitten hereinzukommen. Vor der Einlösung seines Versprechens verhalf er aber noch Tamino zu seiner Pamina. Um das möglich zu machen, musste er allerdings erst den Gefangenenaufseher Monostatos überlisten, Sarastro und alle Priester versöhnlich stimmen sowie die Zauberkraft der Königin der Nacht ausschalten. Fast wäre durch seine eigene Geschwätzigkeit dann noch alles schiefgegangen.

Berliner Dom Donnerstagmorgen regnete es. Der Besuch des Berliner Doms bescherte uns jedoch Sonne und den Spreewald.
Die von Bäumen und Sträuchern gesäumten Ufer, die auf Ansandungen gebauten und von blühenden Gärten umgebenen Häuser, luden zum Träumen ein. "Unser" Bootsführer stakte sein flaches Boot durch die verzweigten Kanäle, klärte auf über seine Heimat und ließ ein Körbchen mit Spreewaldbitter vom Heck zum Bug wandern. Zuerst schien auf der Bootsfahrt herrlich die Sonne, doch später verschwand sie hinter grauen Wolken. Hohe Bäume, unwegsame Ufer, dunkles Wasser, Blitze! Und Festsitzen im Boot! Der Gondoliere tröstete:
"Wir haben ja bloß noch eine halbe Stunde zu schippern bis zur Anlegestelle." Als die ersten Regentropfen fielen, zerrte er ein Plastikdach unter der letzten Sitzbank hervor und schob die Rolle an die linke Bootswand. Er bat uns, die Passagiere, sie von Bank zu Bank bis zum Bug, zu entrollen und sagte:
"Lassen Sie die Plane aber noch gefalten. Erst wenn es fester anfängt zu regnen, klappen Sie sie ganz schnell aus - damit die Wolldecken nicht naß werden."
"Ihn interessiert gar nicht, ob wir naß werden."
"Was denkt der gute Mann sich denn bloß?"
"Ihm geht es bloß um seine Wolldecken."
"Vielleicht hat er nur die eine Garnitur Decken!" Geschäftiger Unwille.
Wir landeten trocken im Hafen, trocken in den Bus kam jedoch nur, wer schnell laufen konnten und den kürzesten Weg nahm.

Am nächsten Morgen Besuch der Hollandhäuser und Huldigung des Kaisers ohne Sorgen in Sanssouci!
Ein neues Jahr beginnt bekanntlich mit guten Vorsätzen. Das Metropol-Theater konnte uns zwar an diesem Abend für seine Sylvester-Operette keinen Jahreswechsel bieten, ließ allerdings den Baustellendreck auf dem Zugang beseitigen. Die Hilfskräfte verschütteten dafür aus dunkelgrauen Wolken reichlich Wasser. Wir erkannten die Mühe an, aber die blitzblanken Steine entschädigten uns nicht für verregnete Frisuren und nasse Garderobe. Die auf dem Vorhang schillernde Fledermaus stimmte uns zwar versöhnlich, aber es braucht eben alles seine Zeit.

Brandenburgertor bei Tage Samstags bei strahlendem aber trügerischem Sonnenschein wieder mal Brandenburger Tor; diesmal aussteigen, besichtigen und fotografieren. Danach Fahrt zum Russischen Park mit Soldatendenkmal. Ein sibirischer Wind blies dort!!! Selbst der frische Kaffee am Bus konnte uns nicht schnell wärmen.
Abends, vor dem Besuch im Friedrichsstadtpalast, passierte nichts, oh Wunder. Wir waren irgendwie enttäuscht. Nicht von der Aufführung, beileibe nicht. Wir trafen zwar eine Stunde vor Beginn der Aufführungen ein, doch diese Zeit ließ sich im Foyer mit den vielen Bildern von früheren Leinwandheldinnen und -helden, gut verbringen.
Der Zugang zu unseren Plätzen führte von hoch oben durch die im Halbrund angeordneten Zuschauerreihen zur Bühne hinab. Immer wieder sagten die Platzanweiser:
"Sie müssen weiter runter! Sie müssen weiter runter!" und winkten uns an den von ihnen bewachten Sesseln vorbei - bis zu ersten Reihe. Und das mir, wo ich immer Angst habe, daß mich, wenn auch nur zufällig, etwas von der Bühne anspringen könnte!
Zuerst zankte sich, vor aller Augen, Zeus mit seiner Gemahlin und deswegen gings ab in die Unterwelt zu den Titanen. Danach tanzten achtundzwanzig Matrosinnen, nur Beine und Mützen, für die versnobten Passagiere der Titanic, bis sie im Meer versank.
In der Pause lebte ich immer noch und stellte mir beim Zurückkehren an den Platz vor, eine Showtreppe hinabzuschreiten.
Gebäude mit viellen Treppen Drakula mit seinen Fledermäusen und gespenstischen Figuren sowie die fliegenden Menschen taten mir später auch nichts. Der Schutz durch das Eisprinzenpaar und die Tiere der Märchenfee, die sogar einen Wassergraben mit Insel anlegen ließ, war vollkommen.
Wieder Berlin bei Nacht und gegen Ende der Fahrt die ernüchternde Durchsage, daß morgen gegen 9 die Koffer am Bus sein sollten.

Die Rückreise hatte kaum begonnen, als an der Museumsinsel schon wieder Halt gemacht wurde.
"Was, zwei Stunden unterbrechen!?"
"Wir wollen durchfahren."
"Die Ausgrabungen der kleinasiatischen Stadt Pergamon aus vorchristlicher Zeit sind aber..." Die Besuchszeit für das Museum wurde von zwei auf eine Stunde herunter gehandelt. Später großes Bedauern, da die Zeit viel zu knapp war.
Kurze Fahrt und Stau. Kein Durchkommen zum "Engel". Alle Zufahrtstraßen gesperrt wegen des 25-km-Laufs durch Berlin. Diese Sportler hatten zwar beide Arme und beide Beine, die einigen der Steinernen im Museum fehlten, doch mußten die genau heute und jetzt die Straße blockieren!? Hinter Polizeiautos und Krankenwagen warteten wir ergeben. Als es endlich weiter ging, meldete der Verkehrsfunk:
"Ein Schwertransporter, der nicht zu überholen ist, fährt gegen Westen."
"Ach du je! Genau wie wir!" Unser Fahrer gab Gas. Am Autobahnkreuz signalisierte Blaulicht Vorsicht.
"Was ist denn da schon wieder passiert?" Es war nichts passiert. Die Polizeiwagen warteten auf ihren Schwertransporter. Wir hatten somit freie Fahrt.

Unterwegs überlegte ich, welcher Palast für Cäcilie gebaut wurde, welches Schloß wem gehörte und ob Friedrich oder Wilhelm oder gar Friedrich-Wilhelm mit seiner Gemahlin am Tor sitzt. Riesengroßes Durcheinander!
Aber was soll's. Schön war die Reise und das ist die Hauptsache.