Die Bahnstation Ergste
Als Baartalstrecke galt die Strecke von Iserlohn über Kalthof, Hennen,
Ergste, Schwerte, welche auch der heute noch gültigen Trasse entspricht.
Obwohl sich Amtmann Liesner aus Ergste um 1856 als Mitglied des neu
gegründeten Ruhrtal-Komitees für einen Bahnhof in Ergste einsetzte,
dauerte es doch noch 54 Jahre, bis die Gemeinde Ergste eine Bahnstation
erhielt. Nach über 25-jähriger Planung und endlosen Verhandlungen wurde
am Ende des Jahres 1907 mit dem Bau der Strecke Schwerte - Iserlohn
begonnen.
Bei dem Bau des Bahnhofs fanden große Erdverschiebungen statt. Vor dem
Bahnhofsgelände traf in jenen Jahren der Bürenbrucher Weg auf die
Dorfstraße. Auch mußte jetzt eine Treppe hinunter zum Bahnhof angelegt
werden.
Überliefert wird, daß im April 1908 eine Kantine erstellt sei, welche
100 Arbeiter beherbergen konnte, und nach Fertigstellung der Eisenbahn
abgebrochen wurde.
Die Vorflutbrücke bei Ergste war am Anfang von der Bauleitung nicht
vorgesehen. Die Bewohner der Gemeinde Ergste wiesen die
Eisenbahningenieure auf die Tücken der Ruhr, besonders bei Hochwasser,
hin. Diese Warnung wurde aber von den leitenden Bauingenieuren nicht
ernst genommen.
1909 wurde aus diesem Grund vom Hochwasser der Ruhr ein Teil der nach
Wandhofen hin verlaufenden Bahndammaufschüttung fortgespült.
Am 30. September 1910 erhielt die Gemeinde Ergste mit der feierlichen
Eröffnung des Bahnhofes und der Strecke Iserlohn - Schwerte ihren
offiziellen Bahnanschluß. Die wohl bekanntesten Fahrgäste, die an diesem
Tag den Zug nach Schwerte um 12.23 Uhr an der Bahnstation Ergste
bestiegen, waren der Gemeindevorsteher Schwarzelühr, Althoff (gen. Der
alte Auerhahn) und der Amtmann Overbeck.
Mit diesem Anschluß an das Schienennetz wurde eine wesentliche
Voraussetzung für das am 8. August 1918 gegründete Stahlwerk Ergste, als
Wirtschafts- und Industriezweig, geschaffen. Für die Gemeinde Ergste
bedeutete dies einen tiefen Einschnitt in das Dorf- und
Wirtschaftsleben. Aus einem ehemals reinen landwirtschaftlichen Dorf
wurde somit ein respektabler sauberer Industriestandort.
Bereits 2 Jahre nach Fertigstellung des Bahngebäudes im Jahre 1912
wurden in Ergste 52.513 Fahrkarten verkauft.
Mit der neu geschaffenen Eisenbahnverbindung wurden an Stückgut im
selben Jahr 479 Tonnen angeliefert, und 1.261 Tonnen versendet. An
Frachtbriefen wurden zur selben Zeit an der Güterstation 7.179 im
Empfang bearbeitet.
Für das Stahlwerk Ergste wurde ein eigener Gleisanschluß geschaffen. Die
Firma Theile besaß sogar einen eigenen Verladekran auf dem Bahngelände.
Im unteren Bahnhofsgelände wurden auch große Mengen an Grubenholz aus
dem nahen Sauerland gelagert. Aus dem Archivmaterial ist zu entnehmen,
daß es sich für die Bahnstation Ergste, um eine Anlieferung von über
30.000 Eisenbahnwaggons jährlich gehandelt hat.
Durch die Windung der Bahntrasse bei Wandhofen über die Ruhr liegt die
Station selbst in einer nicht all zu günstigen Lage. Berücksichtigt man
die Einwohnerzahl und die einzelnen umliegenden Gehöfte und Bauten
entlang der Landstraße nach Letmathe, so befindet sich die Station am
östlichen Ende der Ortschaft. Trotzdem gewann die Bahnstation für die
Landwirtschaft in Ergste schnell an Attraktivität. Eine große Bedeutung
für den Handel stellte der Versand landwirtschaftlicher Produkte, vor
allem für Großvieh und Pferde, dar. So ist nachzulesen, daß 1926 an
Großvieh 120 Stück verladen wurden. Selbst die Frischmilch wurde
zwischen 1910 und ca. 1936 täglich von der Bahnstation zur Molkerei
geschickt. Dies bedeutete für die Bahn eine zusätzliche
Transportkapazität über 500 Tonnen Milch jährlich. Interessanterweise
ist an dieser Stelle anzumerken, daß im Personenverkehr die am 5.08.1925
eröffnete Busverbindung, Schwerte - Ergste - Letmathe bereits am
25.10.1925 mangels Fahrgästen wieder eingestellt wurde.
Leider blieb der kleine Bahnhof und seine Strecke auch in den
Kriegsjahren nicht verschont.
Zum erstenmal unterbrochen wurde die Eisenbahnverbindung nach Schwerte
am 17.05.1943 durch die Beschädigung der, in genieteter
Stahlfachwerkbauweise, 1909 erbauten Ruhrbrücke zwischen Ergste und
Wandhofen. Hier hatten die Springfluten der Möhne große Teile des
Eisenbahndammes unterspült und mit sich fortgerissen. An diesem Tag
erwies sich der Eisenbahndamm, trotz der Vorflutbrücke, als Staumauer
für Schwerte. Erst nachdem der Damm gebrochen war, sank auch der
Wasserspiegel in Schwerte.
Herr Kaufhold berichtet aus seiner Chronik, daß am 4. Dezember 1944
Ergste angegriffen wurde. Die Äcker links und rechts der Landstraße vom
Bahnhof Ergste ab, sollen durch Bombentrichter wie umgepflügt gewesen
sein. Es waren schwerste Bomben. Splitter von 50 - 60 cm Größe und
mehreren Kilo sollen keine Seltenheit gewesen sein.
Am 3. März 1945 ist die Eisenbahnbrücke über die Ruhr wieder einmal
beschädigt worden. Aus Schwerte muß man jetzt zu Fuß nach Ergste gehen,
um mit der Bahn von dort aus nach Iserlohn zu gelangen.
Herr Friedhelm Mann berichtet in seinem Buch (Ergste, ein Dorf am Rande
des Luerwaldes), daß im März 1945 ein Zug auf der Flutbrücke mit
verwundeten Soldaten von Jagdbombern angegriffen wurde. In ihrer Not
sprangen viele Menschen von der Brücke herab, um dem Inferno zu
entkommen.
Am 19. März 1945 (N. Kaufhold) wurde bei einem Großalarm um 08.06 Uhr
der Zug Ergste - Iserlohn durch einen Tiefflieger bei Melcheier in
Villigst beschossen. Es gab viele Tote und Verwundete. Weil das
OT-Lazarett in der Nähe (Haus Villigst) war, konnte schnell geholfen
werden. Die Lokomotive wurde durch den Beschuß so stark beschädigt, daß
sie nicht weiterfahren konnte.
Das Brückenbauwerk über die Ruhr und weite Teile des Eisenbahndammes
wurden vier Tage vor dem Einmarsch Alliierter Truppen am 12.04.1945
gesprengt.
Ab 1949 ist ein Rückgang im Personenverkehr festzustellen. Erst ab den
Jahren 1960 - 1965 stieg der Fahrkartenverkauf um 120 % gegenüber den
fünfziger Jahren. Diese Zunahme ist allerdings mit den neu erschlossenen
Baugebieten in Ergste und auch Villigst zu erklären. (Heimatverein -
Ergste, S. 107 bis 110, 1968). Für das Ergster Stahlwerk und die
Kettenfabrik Theile ist anzunehmen, daß die Anlieferung des Rohmaterials
zu 100 % durch die Bahn erfolgte. Das Stahlwerk Ergste besaß seinen
eigenen Bahnanschluß noch weit bis in die Mitte der 70er Jahre hinein.
Ab dem Jahre 1961 ließ sich aber schon ein Rückgang des gesamten
Güterverkehrsaufkommens des Bahnhofs Ergste erkennen.
Durch die immer größer werdende Personaleinsparung der DB, sowie die
Verlegung des Güter- und Personenverkehrs auf die Straße wurde die
Bahnstation Ergste mit ihrem angebauten Güterschuppengebäude
geschlossen. Heute ist aus dem einst stolzen kleinen, in Fachwerk
gebauten, Bahnhof leider nur noch ein eingleisiger Haltepunkt geworden.
Quellennachweis:
N. Kaufhold, Kriegschronik Schwerte 1939 - 1945 (Auszüge)
Heimatverein Ergste 1968, Ergste S. 107-109 (Auszüge)
G. Hallen 1983, Die Sintflut im Ruhrtal
Friedhelm Mann 1996, Ergste, ein Dorf am Rande der Luerwaldes, S. 211
(Auszüge)
Ergste - Letmathe über Schälk
Eine weitere, später aber wieder verworfene Streckenplanung besagt, daß
Ergste einen weiteren Anschluß über den Schälk mit der Anbindung an
Letmathe erhalten sollte. Aus diesem Grund nahmen der damalige Schwerter
Bürgermeister Emil Rohrmann und der Kommerzienrat Fleitmann am 13.
Januar 1913 wegen der Streckentrasse Schwerte - Ergste - Letmathe,
Gespräche mit dem Ministerium in Berlin auf. Am 15. Januar legten die
Handelskammern Dortmund und Hamm, sowie die Kommunalverbände den Wunsch
nahe, die Strecke Löttringhausen - Schwerte - Letmathe in die nähere
Planung mit einzubeziehen. Begründet wurde dieses Anliegen mit einer
durchgehenden Nord-Südverbindung der Nordseebäder und der hessischen
Stadt Frankfurt. Der wirtschaftliche Faktor wurde in der
Ruhrgebietsverbindung der Kohle- und Stahlindustrie mit dem nahen Sauer-
und Siegerland bekundet. Die Gemeinde Westhofen zeigte ebenfalls reges
Interesse an diesem Bahnanschluß, allerdings über Westhofen und Kabel.
Aus diesem Grund hatte auch der Stadtverordnete Lohmann, in Vertretung
für die Gemeinde Westhofen, vor dem Eisenbahnministerium seine
Stellungnahme bekundet.
Dem entsprechend reagierten die Gemeindevertreter aus Ergste mit dem
Argument, daß eine Untertunnelung des Schälks eine starke Entlastung der
Stationen Hengstey, Kabel und des Hauptbahnhofes Hagen nach sich ziehen
würde. Die Handelskammer zu Dortmund wies auch noch einmal auf die
Vorzüge der Strecke Ergste - Letmathe mit Anschluß an die Hönnetalbahn
hin. Ebenso wird hier auf die Veränderung der aufstrebenden
Landwirtschaft in dieser Umgebung deutlich hingewiesen.
Am 14. Februar schrieb die Schwerter Zeitung, daß nach einem Erlaß des
Herrn Minister für öffentliche Arbeiten ein Ersuchen an die zuständige
Direktion ergangen sei, eine Planung für das Projekt einer Hauptbahn
Ergste - Letmathe anzufertigen.
Nach Bekanntwerden dieses Erlasses legten sich auch die Städte Hamm,
Neheim und Hüsten mächtig ins Zeug und sprachen sich für diesen
Bahnanschluß mit Weiterführung nach Finnentrop aus. Die größte
Fürsprache bekamen die Ergster Bürger verständlicherweise aus der Stadt
Dortmund.
Diese und die Stadt Schwerte argumentierten in diesem Zusammenhang im
folgenden, daß mit dem Ausbau des zweiten Gleises nach Dortmund auch
schon eine ideale Voraussetzung für eine Hauptbahn bis Letmathe
geschaffen sei.
Am Dienstag, den 15. Februar fand eine Gipfelkonferenz aller beteiligten
Städte und Gemeinden an der Handelskammer zu Hamm statt.
Die Schwerter Zeitung berichtet am 26. Februar 1913, daß dieses Projekt
Ergste - Letmathe längst das öffentliche Interesse weit über Westfalen
hinaus, bis hinein in das Rheinland, auch vom wirtschaftlichen
Standpunkt her, sehr stark erregt hat. Die KPEV weist die Elberfelder
Direktion an, ein Konzept der Strecke dem Oberpräsidenten der Provinz
Westfalen bis zum 1. August 1913 vorzulegen.
Bereits am 17. April des selben Jahres wurde auf einer Sitzung in
Hohenlimburg-Elsey mitgeteilt, daß wegen der Geländeform und der dadurch
entstehenden Mehrkosten ein Tunnelbau durch den Schälk nicht mehr in
Betracht komme. Es wurde die wesentlich kostengünstigere Bahntrasse über
Westhofen - Kabel - Hohenlimburg nach Letmathe erwogen und bevorzugt.
Quellennachweis:
mit der freundlichen Unterstützung der Stadtbücherei Schwerte und
Stadtarchiv Schwerte