Faszinierender Ginkgo
Baum der Hoffnung
Bei der Explosion der Atombombe August 1945 in Hiroshima und Nagasaki
kamen etwa 300.000 Menschen zu Tode. Auch die Tier und Pflanzenwelt
schien durch Feuer und Strahlung völlig vernichtet. Aber im Frühling
1946 sproß aus einem schwarz verkohlten Stamm in Hiroshima frisches Grün
hervor. Und heute steht dort ein stattlicher Baum, von den Japanern
gepflegt und verehrt als Zeichen der Hoffnung im Inferno.
Welche außerordentliche Pflanze hatte der Zerstörung getrotzt? Es war
ein Ginkgo biloba, ein "Fächerblattbaum", chin. "Goldfruchtbaum",
engl. "maiden hair tree", dän. "Tempeltræ" wohl der älteste Baum auf
Erden. Seine Ursprünge reichen 250 Millionen Jahre zurück. Nahe
Verwandte der heutigen Art wuchsen im Tertiär wie Fossilienfunde
beweisen auf der ganzen nördlichen Halbkugel, von Italien bis Grönland
ebenso wie im fernen Ostasien. Aber nur dort haben sie als eine Art
lebendes Fossil überdauert.
Die ältesten Ginkgos sollen in China stehen; sie sind über 40 Meter hoch
und sollen fast 4.000 Jahre alt sein. Die frühesten Aufzeichnungen
stammen aus dem 11. Jahrhundert aus Japan. Nach Europa kam der Ginkgo
erst wieder im 18. Jahrhundert. Der Botaniker Engelbert Kämpfer
beschrieb ihn in seinem Buch "Amoenitatum exoticarum". In Deutschland
wurde der älteste Ginkgobaum in Lauenburg, 1730, gepflanzt; Goethe ließ
in Weimar und im botanischen Garten der Universität Jena Ginkgos setzen.
Schöne alte Exemplare stehen auch im Park von Kassel-Wilhelmshöhe.
Die Unempfindlichkeit gegenüber Schädlingen wie Insekten, Bakterien oder
Viren hat wohl dazu beigetragen, daß diese Pflanzenart als einzige die
zahlreichen Erdkatastrophen seit der Saurierzeit überlebt hat. Auch
Pilze konnten dem Baum nichts anhaben. Und vor einigen Jahren fand man
heraus, daß Ginkgobäume außergewöhnlich widerstandsfähig gegen
Autoabgase sind. Deshalb sind sie jetzt die am häufigsten gepflanzten
Straßenbäume in Manhatten (New York). Vielleicht überdauert der Ginkgo
auch uns Menschen noch.
Ginkgo biloba ist der einzige Vertreter der vor Millionen Jahren
ausgestorbenen Pflanzenart der Gymnospermen (nacktsamige Pflanzen), die
den Koniferen (Nadelhölzern) nahestehen. Das anspruchslose Holzgewächs
gedeiht auf nicht zu trockenen Böden in kühlen bis subtropischen
Klimazonen.
Der Ginkgo sollte frei stehen, da er in seiner 20-40 Jahre zählenden
Jugend zunächst schnell in die Höhe wächst aber später ausladende Kronen
bilden kann.
Das Charakteristische sind die Blätter. Im späten Frühjahr sprießen sie
zunächst zart und hellgrün. Die langgestielten, fächerförmigen Blätter
sind unterschiedlich gelappt mit strahlig verlaufenden Nerven. Im Herbst
färben sie sich goldgelb und fallen spät ab, ohne braun zu werden.
Die eigenartige Form gilt als Symbol der Einheit in der Zweiheit. Das
hat Goethe zu einem Gedicht im Westöstlichen Diwan angeregt:
Dieses Baumes Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt?
Solche Fragen zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?
Der Ginkgo ist ein zweihäusiger Baum, d.h. es gibt männliche und
weibliche Pflanzen. Aber mit der Unterscheidung muß man bis zur ersten
Blüte nach ca. 40 Jahren warten. Bei den zapfenförmigen Blüten sitzen
die Sporophylle in spiraliger Anordnung und tragen Pollensäcke in den
männlichen oder Samenanlagen in den weiblichen Exemplaren. Die
Bestäubung erfolgt durch den Wind. Die weiblichen Blüten haben zwei
Samenanlagen, von denen jedoch nur eine reifen Samen entwickelt, der an
eine Mirabelle erinnert. Die fleischige Samenschale schmeckt nach
ranziger Butter, aber die gerösteten Kerne gelten als Delikatesse.
In Asien wurde der Ginkgo vor allem in Tempel und Klostergärten
kultiviert. Die chinesische Medizin verwendete Ginkgoblätter als
Wundpflaster und als Heiltee. Heute hat man die Wirkstoffe als
Flavonglykoside identifiziert und setzt ihre durchblutungsfördernde
Wirkung besonders zur Bekämpfung altersbedingter Hirnleistungsstörungen
ein.
Wenn wir Ginkgo biloba in unsere Parks und Gärten pflanzen, dann wollen
wir uns im Frühling an seinem zarten Grün erfreuen, im Sommer unter
seinem hohen Schatten sitzen und im Spätherbst die goldene Pracht seiner
Blätter bewundern.
(Literatur: "Natur und Medizin" 5/92. "Geschichte eines Baumes"
INTERSAN, Ettlingen)